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Produkthaftung USA – US Supreme Court vor wichtiger Klärung der erforderlichen „minimum contacts“ bei Klagen gegen ausländische Unternehmen

25.03.2021 - Lesezeit: 4 Minuten

AutorIn

Paul Luiki

Partner

Helene Rohrauer

Rechtsanwältin (derzeit in Karenz)

Die USA sind für viele exportstarke Länder wie Österreich zu einem der wesentlichsten Handelspartner geworden. In den letzten zehn Jahren haben sich die Exporte in die USA mehr als verdoppelt und die USA sind nach Deutschland nunmehr das zweitwichtigste Exportland für österreichische Unternehmen. In Deutschland führen die USA die Liste der Exportländer an.

Beim Export von Produkten in die USA ist das Produkthaftungsrisiko zu beachten. Dieses gilt sowohl bei  B2B (business to business) als auch bei B2C (business to consumer) Verkäufen. Auch wenn die großen B2C-Fälle die Berichterstattung dominieren (zuletzt erfolgreiche Klagen gegen Monsanto wegen dem Unkrautvergiftungsmittel Round-Up) werden auch regelmäßig Unfälle in Verbindung mit B2B-Verkäufen erfolgreich eingeklagt. Ein typischer Ablauf eines Produkthaftungsfalles in den USA im B2B-Bereich ist der Verkauf einer Maschine an einen US-Kunden, gefolgt von einer Verletzung durch einen Mitarbeiter des US-Kunden bei Verwendung der Maschine. Auch wenn die Produkthaftungssysteme der US-Bundesstaaten und Österreich die gleichen grundsätzlichen Tatbestände enthalten (Herstellermangel, Design-Fehler, ungenügende Warnhinweise) gibt es enorme Unterschiede in den Beträgen, die bei Personenschäden zugesprochen werden. 

Dabei spielt das US-Geschworenensystem eine wichtige Rolle. Die Kernfragen im Zivilverfahren, ob ein Produkt unangemessen gefährlich ist und wie hoch der Personenschaden ist, werden nicht wie hierzulande von einem Richter, sondern von mehreren Geschworenen (Laien) entschieden (jury trial). Daraus folgen häufig hohe Beträge, die sowohl bei Verletzungen als auch bei Todesfällen zugesprochen werden. Siehe zum Beispiel den Zuspruch von USD 4,85 Mio. durch Geschworene an die Witwe und den Sohn eines Mitarbeiters eines Herstellers von Garagen-Türen, der bei einer Installationstätigkeit stürzte und einige Wochen später verstarb. Dieses Urteil wurde auch in der Berufung bestätigt (Sardis v. Overhead Door Corp., 446 F. Supp. 3d 47 (E.D. Va. 2020)). Hinterbliebene haben in den USA – anders als in Österreich - einen unabhängigen Anspruch auf Ausgleich bezogen auf den verstorbenen Familienangehörigen (wrongful death action).

Sollte das von einem österreichischen Exporteur gelieferte Produkt einen Personenschaden verursachen, wird es natürlich wichtig sein festzustellen, ob das Produkt als unangemessen gefährlich eingestuft werden könnte. Genauso wichtig ist aber auch die Vorfrage, ob gegen den österreichischen Exporteur überhaupt eine Zuständigkeit des Gerichts im eingeklagten Bundesstaat besteht. Auch wenn von einer Klägerfreundlichkeit der USA in Bezug auf Produkthaftungsfälle gesprochen werden kann– insbesonder im Vergleich zu den relativ niedrigen Beträgen in Österreich, werden in den USA oft beachtliche Summen an die Kläger zugesprochen - ist der Bereich der Gerichtszuständigkeit höchst umstritten und öffnet Beklagten die Möglichkeit Verfahren rasch zu beenden. Durch die Erhebung der Einrede der fehlenden Gerichtszuständigkeit am Beginn eines Verfahrens  kann  bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine gänzlichen Abweisung der Klage erreicht werden. 

Derzeit sind zwei Gerichtsfälle vor dem US Supreme Court anhängig, die in den nächsten Monaten entscheiden werden sollten und auch für Exporteure aus Europa große Bedeutung haben werden. Es geht um die Kernfrage, wie intensiv die Kontakte zwischen einem ausländischen Beklagten und dem jeweiligen US-Bundesstaat, in dem die Klage eingereicht wird, sein müssen, damit der ausländische Beklagte in dem vom Kläger ausgesuchten Bundesstaat geklagt werden kann. Der Begriff „ausländischer Beklagte“ (foreign defendant) ist dabei umfangreicher als die gewöhnliche Wortbedeutung zu verstehen. In den USA, die besonders im Rechtssystem stark föderalistisch geprägt sind, gilt dieser Begriff gleich für ein Unternehmen aus einem anderen Bundesstaat, wie auch für ein Unternehmen aus einem anderen Land. Wenn daher eine verletzte Klägerin beispielsweise eine Klage im Bundesstaat New York gegen zwei Beklagte einreicht und die Erstbeklagte aus Connecticut und die Zweitbeklagte aus Österreich stammt, sind beide Beklagte „ausländische Beklagte“ für die Beurteilung der Gerichtszuständigkeit. Die Prüfung der Gerichtszuständigkeit erfolgt immer aus dem Blickwinkel des Einzel-Bundesstaates – im Beispielfall dem Bundesstaates New York.

Die vor dem US Supreme Court anhängigen Fälle zur Gerichtszuständigkeit betreffen Klagen gegen Ford Motor Co. Da sie ähnliche Fragen zur Gerichtszuständigkeit betreffen wurden sie auch konsolidiert (Ford Motor Co. v. Montana Eighth Judicial District Court und Ford Motor Co. v. Bandemer). In beiden Fällen wurde Ford Motor Co. in einem anderem Bundesstaat geklagt, als jener Bundestaat, in dem die schadhaften Autos verkauft wurde. In Ford Motor Co. v. Bandemer erlitt Herr Bandemer schwerwiegende Gehirnschäden als die Airbags des Ford-Autos beim Unfall nicht aufgingen. Der Unfall geschah in Minnesota, wo Herr Bandemer auch wohnt. Das Auto wurde jedoch in Michigan entworfen, in Kanada hergestellt und ursprünglich an einen unabhängigen Ford-Händler in North Dakota verkauft und von dort aus weiterverkauft. Ist daher eine Klage des Herrn Bandemer im Bundesstaat Minnesota gegen Ford Motor Co. mit Hauptverwaltungssitz im Bundesstaat Michigan zulässig? Oder muss Herr Bandemer Ford Motor Co. im Bundesstaat Michigan klagen?

Diese Frage ist eine verfassungsrechtliche und zwar nach der US-Bundesverfassung. Auch wenn  die Voraussetzungen der Produkthaftung von jedem einzelnen Bundesstaat – meist basierend auf  Rechtsprechung - für sich selbst festgelegt werden, garantiert die US-Bundesverfassung, dass Parteien nicht ohne sogenannte „Mindestkontakte“ (minimum contacts nach der Due Process Clause) mit dem jeweiligen Bundesstaat vor dessen Gerichte geklagt werden können. Als Frage der US-Bundesverfassung hat der US Supreme Court die Auslegungshoheit. Seine Entscheidungen gelten für sämtliche Gerichte in den USA, somit auch für die Bundesstaatsgerichte in den einzelnen Bundesstaaten. 

Unbestritten in beiden Fällen vor dem US Supreme Court ist die Tatsache, dass die Kontakte von Ford Motor Co. mit dem Bundesstaat, in dem der Autounfall passierte, nicht unmittelbar mit dem Autounfall selbst zusammenhängen. Sollte dessen ungeachtet im Fall Ford Motor Co. v. Bandemer ein Unternehmen wie Ford Motor Co., welches bundesweit tätig ist und auch extensive Marketing-Tätigkeiten im Bundesstaat Minnesota betreibt, in Minnesota geklagt werden können? Oder muss – wie Ford Motor Co. argumentiert – die Klage in dem Bundesstaat eingereicht werden, wo die konkreten Verkaufstätigkeiten für das erworbene Auto erfolgten? Was ist wenn ein Hersteller gar keinen intensiven Kontakt mit einem spezifischen US-Bundesstaat hat und vertreibt seine Produkte über einen unabhängigen Vertriebspartner oder über eine Tochtergesellschaft vertreibt?

Die Judikatur des US Supreme Court seit 2010 zu dieser wichtigen Frage der Gerichtszuständigkeit ist durchaus unternehmerfreundlich und unterstützt die Position von Ford Motor Co. Es gibt zwei Arten der Gerichtszuständigkeit über Beklagte (personal jurisdiction): Erstens könnten die Verbindungen des beklagten Unternehmens mit dem jeweiligen Bundesstaat so stark sein, dass das beklagte Unternehmen in dem Bundesstaat „zu Hause“ ist. Typischerweise ist das der Fall, wenn das Unternehmen seinen Hauptverwaltungssitz in dem Bundesstaat hat (general jurisdiction) (siehe Daimler AG v. Bauman, 134 S. Ct. 746, 760 (2014). Dann sind sämtliche Klagen in dem Bundesstaat gegen das Unternehmen zulässig, auch wenn die konkrete Klage nichts mit dem Bundesstaat zu tun hat. 
Die zweite Art der Gerichtszuständigkeit (specific jurisdiction) liegt vor, wenn die Kontakte mit dem Bundesstaat zwar nicht so stark sind, dass das beklagte Unternehmen dort „zu Hause“ ist, der vom Kläger erhobene Anspruch sich jedoch auf diese Kontakte bezieht. Wenn beispielsweise ein österreichisches Unternehmen eine Maschine direkt an einen Kunden in Illinois liefert und der Personenschaden mit dieser Maschine zusammenhängt, wird das österreichische Unternehmen aufgrund ausreichender Kontakte in Illinois geklagt werden können. Fraglich ist jedoch, ob diese zweite Art der Gerichtszuständigkeit auch vorliegt, wenn das Produkt zwar nicht im Bundesstaat verkauft wurde, wo sich der Unfall ereignete, aber trotzdem in voraussehbarer Weise dorthin hingelangte? Die Kläger in den anhängigen Ford-Fällen stützen sich auf die besondere Gerichtszuständigkeit (specific jurisdiction).

Bahnbrechend im Bereich der besonderen Gerichtszuständigkeit war die Entscheidung McIntyre (J. McIntyre Machinery, Ltd. v. Nicastro, 564 U.S. 873 (2011)), die jedoch in den nachfolgenden Jahren aufgrund ihrer Unbestimmtheit für große Verwirrung bei unteren Instanzen sorgte. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall verlor Herr Nicastro vier Finger bei einem Arbeitsunfall als er eine Recycling-Maschine betrieb. Die Maschine wurde von dem englischen Hersteller J. McIntyre Machinery produziert und an ihren unabhängigen US-Vertriebspartner verkauft, der diese Maschine an einen Kunden in New Jersey weiterverkaufte. Die Klage wurde gegen den US Vertriebspartner und gegen den englischen Hersteller in New Jersey eingereicht, wo der Unfall auch stattfand. 

Soll die Tatsache allein, dass die Maschine vom englischen Hersteller in die USA über einen unabhängigen Vertriebspartner in den Verkehr gebracht wurde (stream of commerce) ausreichen, um eine besondere Gerichtszuständigkeit zu begründen? Der US Supreme Court verneinte diese Frage. Welche Faktoren müssen jedoch hinzukommen, damit eine besondere Gerichtszuständigkeit (specific jurisdiction) bejaht werden kann? Das ist die kritische Frage, die auch die Richter in den anhängigen Ford-Fällen beschäftigt. Im Fall McIntyre besuchte der englische Hersteller zwar Messen in den USA, keine davon fand aber in New Jersey statt. Dazu wurden nur einzelne Maschinen vom US Vertriebspartner an Kunden in New Jersey verkauft. Daher seien die Kontakte laut dem US Supreme Court zwischen dem englischen Hersteller und dem Bundesstaat New Jersey nicht eng genug, um eine Gerichtszuständigkeit über diesen zuzulassen. 

Die Begründungen der Richter in McIntyre waren jedoch unterschiedlich und daher gab es keine klare Mehrheit über die Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Seitdem gibt es zur Frage der besonderen Gerichtszuständigkeit daher unterschiedliche Gerichtsurteile. Faktoren, die von Gerichten berücksichtigt werden, umfassen unter anderem die Involvierung des ausländischen Herstellers beim Vertrieb des Produktes in den USA, die Anzahl der Produkte, die in dem spezifischen Bundesstaat verkauft werden und sonstige Kontakte des Herstellers zum spezifischen Bundesstaat.

Nun erhoffen sich viele Beobachter vom US Supreme Court bei der Entscheidung zu den Ford-Fällen endlich klare Leitlinien, die bei der Frage der besonderen Gerichtszuständigkeit von unteren Instanzen einheitlich angewendet werden können. Unter welchen Umständen könnte beispielsweise der Einsatz eines unabhängigen Vertriebspartners in den USA die Gerichtszuständigkeit über einen ausländischen Hersteller ausschließen? Wird eine Gerichtszuständigkeit umso weniger vorliegen, wenn der ausländische Hersteller lediglich eine Teilkomponente an einen US-Hersteller liefert? Die Antwort auf diese Fragen zu den notwendigen „Mindestkontakte“ werden für österreichische Exporteuer und Exporteure aus anderen Ländern große Bedeutung für das Ausmaß ihres Produkthaftungsrisikos in den USA haben.
 

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Paul Luiki

Partner

Helene Rohrauer

Rechtsanwältin (derzeit in Karenz)