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Höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Frühwarnsystem

27.01.2021 - Lesezeit: 4 Minuten

AutorIn

Florian Dauser

Rechtsanwalt

Das Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG) sieht in § 45a vor, dass ein Arbeitgeber die beabsichtigte Auflösung von Arbeitsverhältnissen ab einem bestimmten Ausmaß innerhalb von 30 Tagen vorab bei der für den jeweiligen Standort zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice schriftlich anzeigen muss. Die hinsichtlich der Meldepflicht bestehenden Grenzen stellen sich wie folgt dar:

  • mindestens fünf Arbeitnehmer in Betrieben mit 20 bis 100 Beschäftigten;
  • mindestens 5 % der Arbeitnehmer in Betrieben mit 100 bis 600 Beschäftigten;
  • mindestens 30 Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 600 Beschäftigten; oder
  • mindestens fünf Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben.   

Die Anzeige an das AMS muss – vorbehaltlich einer längeren kollektivvertraglichen Frist - mindestens 30 Tage vor der ersten Auflösungserklärung erfolgen. Falls ein Betriebsrat besteht, ist diesem eine Durchschrift der Anzeige zu übermitteln; das Formblatt für die Anzeige sieht diesbezüglich vor, dass der Betriebsrat den Erhalt der Durchschrift bestätigt.

Wird vor Ablauf der 30-tägigen Frist oder überhaupt ohne Abgabe einer Anzeige eine Kündigung ausgesprochen, ist diese rechtsunwirksam.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) setzte sich im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz gemäß § 45a AMFG mit einem Fall auseinander, bei dem 10 Arbeitnehmer eines Betriebes, in dem 300 Arbeitnehmer beschäftigt waren, gekündigt wurden, ohne dass der Arbeitgeber vorab eine Anzeige an das AMS erstattet hat (OGH 21.10.2020, 9 ObA 74/20b und OGH 23.10.2020, 8 ObA 83/20v). Von den Kündigungen waren sieben Arbeitnehmer betroffen, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Der Arbeitgeber hätte somit - aufgrund des Alters dieser Arbeitnehmer – vorab eine Anzeige an das AMS erstatten müssen, sodass diese Kündigungen rechtsunwirksam waren. Fraglich war jedoch, ob die Kündigungen der anderen drei Arbeitnehmer ebenso rechtsunwirksam waren.

Der OGH hat dazu festgestellt, dass die Anzeigepflicht entweder Kündigungen, die einen bestimmten Schwellenwert übersteigen, oder Kündigungen, von denen mindestens fünf über 50-jährige Arbeitnehmer betroffen sind, betrifft. Demnach erstreckt sich der aus der Anzeigepflicht ergebende der Kündigungsschutz nur dann auf unter 50-jährige Arbeitnehmer, wenn die oben dargestellten quantitativen Schwellenwerte überstiegen werden. Bemerkenswert ist die Begründung des OGH, wonach es den Gerichten verwehrt ist, im Wege einer weitherzigen Interpretation offenkundige rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Eine für rechtspolitisch lediglich sinnvoll oder wünschenswert erachtete Regelung biete keine Grundlage für eine ergänzende Rechtsfindung durch Analogie.

Zusammengefasst kam der OGH zum Ergebnis, dass sich der Kündigungsschutz nur auf die über 50-jährigen Arbeitnehmer erstreckte und die Kündigungen der drei anderen Arbeitnehmer nicht aufgrund der fehlenden Anzeige beim AMS rechtsunwirksam waren.

Die Begründung des OGH impliziert jedoch, dass eine Gesetzesänderung aus seiner Sicht wünschenswert sei, damit derartige Grenzfälle in Zukunft von dem Kündigungsschutz gemäß § 45a AMFG umfasst sind. Man darf somit gespannt sein, ob und wie der Gesetzgeber darauf reagieren wird.

AutorIn

Florian Dauser

Rechtsanwalt