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Zur treuwidrigen Stimmabgabe eines GmbH-Gesellschafters

16.04.2021 - Lesezeit: 4 Minuten

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Kann die Stimmabgabe für die Abberufung eines „entsandten“ Aufsichtsratsmitgliedes gegen die Treuepflicht verstoßen, wenn ein nicht bestehendes Entsendungsrechts in den Aufsichtsrat zuvor langjährig anerkannt wurde? Mit dieser Frage hat sich der OGH in der Entscheidung 6 Ob 155/20t auseinandergesetzt und dabei einen interessanten Aspekt der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern einer GmbH thematisiert.

Sachverhalt

An der D-GmbH („Beklagte“) waren im Jahr 1981 die NI („Nebenintervenientin) mit einem Geschäftsanteil von 68 % und die P-GmbH mit einem Geschäftsanteil von 32 % beteiligt. Der P-GmbH kommt laut Gesellschaftsvertrag der Beklagten das Recht zu, ein Mitglied in den Aufsichtsrat zu entsenden, während die NI zwei Mitglieder entsenden kann. Das vierte Aufsichtsratsmitglied wird von der Generalversammlung gewählt. Ein zwischen der NI und der P-GmbH abgeschlossener Syndikatsvertrag sieht überdies vor, dass zwischen den Syndikatsmitgliedern Einvernehmen über das zu wählende vierte Aufsichtsratsmitglied herzustellen ist. Die Verpflichtungen aus dem Syndikatsvertrag sind zudem auch an Rechtsnachfolger der Syndikatsmitglieder zu überbinden.

Nachdem die P-GmbH in der Generalversammlung im Jahr 2001 Dr. GD in den Aufsichtsrat entsandte, wurde im Jahr 2004 der Geschäftsanteil der P-GmbH konzerninternen zuerst mit Spaltungs- und Übernahmsvertrag an die B-GmbH übertragen und in weiterer Folge mit Sacheinlage-, Übertragungs- und Abtretungsvertrag an die Klägerin.

In den folgenden Jahren wurde Dr. GD von der Klägerin als nunmehrige Gesellschafterin der Beklagten in den Aufsichtsrat entsandt, obwohl ein unbefristetes Aufsichtsratsmandat bestand. Die NI hatte sich zu keinem Zeitpunkt gegen die Entsendung durch die Klägerin ausgesprochen.

Als die NI im Jahr 2017 ein Kundenbindungsprogramm implementieren wollte, die Klägerin jedoch dagegen war, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gesellschafterinnen und damit zum Ende der zuvor friktionsfreien Zusammenarbeit. Um das Kundenbindungsprogramm durchsetzen zu können, beantragte die NI in der Generalversammlung 2017 die Abberufung des von der Klägerin entsandten Aufsichtsratsmitgliedes. Der Antrag auf Abberufung von Dr. GD wurde mit einfacher Mehrheit entgegen den Stimmen der Klägerin angenommen.

Die Klägerin begehrte in einem darauffolgenden Verfahren unter anderem den Beschluss über die Abberufung des Aufsichtsratsmitgliedes Dr. GD für nichtig zu erklären, da das Entsendungsrecht der P-GmbH auf sie übergegangen sei. Die Beklagte wandte ein, dass das Entsendungsrechts aufgrund der erfolgten Übertragung des Geschäftsanteiles der P-GmbH erloschen sei.

Rechtliche Beurteilung des OGH

§ 30c GmbHG unterscheidet beim Entsendungsrecht zwischen im Gesellschaftsvertrag namentlich genannten Gesellschaftern und Inhabern bestimmter Geschäftsanteile, bei welchen die Geschäftsanteile vinkuliert sein müssen. Soweit die Geschäftsanteile nicht vinkuliert sind, erlischt das Entsendungsrecht mit Verlust der Gesellschafterstellung. Nach Wegfall des Entsendungsrechts kann das entsandte Aufsichtsratsmitglied mit einfacher Mehrheit abberufen werden.

Das Entsendungsrecht der P-GmbH ist mangels Vinkulierung der Geschäftsanteile ein höchstpersönliches Recht. Die Gesellschafterstellung ist letztendlich konzernintern im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die Klägerin übergegangen. Auch bei einer Übertragung im Konzern geht der Geschäftsanteile jedoch auf eine eigenständige juristische Person über. Das Entsendungsrecht der P-GmbH ist daher mit Übertragung an die Klägerin erloschen und das entsandte Aufsichtsratsmitglied kann mit einfacher Mehrheit abberufen werden.

Die Stimmabgabe zur Abberufung des auf Grundlage des Entsendungsrechtes der P-GmbH entsandten Aufsichtsratsmitgliedes ist jedoch als treuwidrig zu qualifizieren. Die NI hat 13 Jahre hindurch zu erkennen gegeben, von einem Entsendungsrecht der Klägerin auszugehen. Hierdurch hat sie einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Gesellschaftsverträge sind zwar grundsätzlich objektiv auszulegen. Die Berufung auf den Wortlaut der Satzung kann jedoch ein Verstoß gegen die Treuepflicht sein, wenn die Gesellschafter jahrelang eine vom Wortlaut der Satzung abweichende Praxis gelebt haben. Die Treupflicht zwischen der NI und der Klägerin ist nach Ansicht des OGH zudem besonders stark ausgeprägt, da sie die einzigen Gesellschafter der Beklagten sind und sie zudem durch einen Syndikatsvertrag verbunden sind. Das in der Folge an den Tag gelegte Verhalten der NI, nämlich die Abberufung des unbequemen Aufsichtsratsmitglieds Dr. DG unter Berufung auf das weggefallene Entsendungsrecht der Klägerin, verstößt gegen die Treuepflicht eines Gesellschafters. Es mangelt an einer angemessenen Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter bei Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung. Der Generalversammlungsbeschluss über die Abberufung von Dr. DG als Aufsichtsratsmitglied ist daher nichtig.

Conclusio

Die Stimmabgabe eines Gesellschafters, die sich auf den Wortlaut der Satzung stützt, kann nach der Rechtsprechung des OGH treuwidrig sein, wenn die gelebte Praxis der Gesellschafter der Satzung widerspricht. Die jahrelange Anerkennung des Entsendungsrechts schaffte im vorliegenden Fall einen Vertrauenstatbestand, der aufgrund der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern bei der Stimmrechtsausübung in der Generalversammlung angemessen zu berücksichtigen ist. Eine demgegenüber treuwidrige Abstimmung führt zur Nichtigkeit des Beschlusses.


Wie lange eine von der Satzung abweichende Praxis ausgeübt werden muss, um einen Vertrauenstatbestand zu schaffen, ist nicht abschließend geklärt. 13 Jahre dürften nach der vorliegenden Judikatur des OGH jedenfalls ausreichen. Der OGH hat auch die Frage offengelassen, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung des Gesellschaftsvertrages zur Verankerung des anerkannten Entsendungsrechtes hat. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die NI aufgrund der Treuepflicht bei der Beschlussfassung für die entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrages stimmen müsste.

Autor: Andreas Bischofreiter, Rechtsanwaltsanwärter
 

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