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Reformbedarf bei der Übernahmekommission

16.09.2021 - Lesezeit: 3 Minuten

AutorIn

Peter Stiegler

Rechtsanwalt

Der Europäische Gerichtshof attestiert in seinem Urteil vom 9.9.2021 in der Rechtssache C-546/18 (Adler Real Estate u.a.) dem Verfahren vor der österreichischen Übernahmekommission ein Rechtsstaatlichkeitsdefizit: Die Übernahmekommission erfüllt nach der Rechtsansicht des Europäischen Gerichtshofes nicht die Anforderungen an ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Aufgabe der bei der Wiener Börse eingerichteten Übernahmekommission ist die Durchführung von Untersuchungen, die einen möglichen Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots zum Gegenstand haben, die Einleitung von Feststellungsverfahren und von Verwaltungsstrafverfahren. Sie entscheidet dabei über das Vorliegen eines Verstoßes und verhängt Sanktionen. Hierfür verfügt sie über weitreichende Befugnisse und kann von Amts wegen tätig werden. Innerhalb der Übernahmekommission besteht keine funktionale Trennung zwischen „Ermittlern“ und „Entscheidern“. Kurzum: Es handelt sich um ein Inquisitionsverfahren.

Gegen Bescheide der Übernahmekommission kann in Feststellungsverfahren der Oberste Gerichtshof als Rekursgericht angerufen werden, der die Bescheide ausschließlich hinsichtlich der Rechtsfragen, nicht jedoch hinsichtlich der von der Übernahmekommission festgestellten Tatsachen, überprüft. Darin liegt aber aus Sicht des Europäischen Gerichtshofes das Rechtsstaatlichkeitsdefizit. 

Um den Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu entsprechen, müssen Entscheidungen der Übernahmekommission von einem nationalen Gericht überprüft werden können, das zu diesem Zweck zur Prüfung aller relevanten Sach- und Rechtsfragen befugt ist. Zumindest in einer Instanz muss die volle gerichtliche Zuständigkeit gegeben sein.

Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert, rasch eine Novellierung des österreichischen Übernahmerechtes zu vollziehen, um ein faires und europarechtskonformes Verfahren zu gewährleisten. Doch welche Modelle kommen in Frage?

Nach dem Vorbild Deutschlands bietet sich eine vollständige Überprüfung von Entscheidungen der Übernahmekommission durch einen gesonderten Senat eines der Oberlandesgerichte an. Gegen dessen Entscheidung muss der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof, der ohnehin nur Rechtsfragen zu beurteilen hat, möglich sein. Allerdings sind Richter des Oberlandesgerichtes Wien sowie des Handelsgerichtes Wien derzeit auch Mitglieder in den Senaten der Übernahmekommission.

Alternativ könnten die Agenden der Übernahmekommission einem ordentlichen Gericht übertragen werden, beispielsweise einem Sondersenat beim Handelsgericht Wien, um auch die erforderliche Unabhängigkeit und Fachkunde für übernahmerechtliche Entscheidungen sicherzustellen. 

Im Zuge der Revision des Übernahmerechtes sollten auch die besonders kurzen Rechtsmittelfristen, die der Komplexität von Übernahmeverfahren nicht Rechnung tragen, einer kritischen Evaluierung unterzogen werden. 

Im Rahmen der anstehenden Gesetzesänderung wird wohl auch die im Regierungsprogramm 2020-2024 festgelegte Prüfung der Modernisierung des Übernahmerechtes zur Hintanhaltung im europäischen Vergleich überschießender Regelungen (insbesondere die bestehenden Regelungen zum „creeping-in“) eine Rolle spielen.

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Bindungswirkung das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in zeitlicher Hinsicht entfaltet. Sind auch die bisherigen Entscheidungen der Übernahmekommission davon betroffen? Immerhin setzt sich der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in besonders schweren Fällen auch gegen die Rechtskraft durch und wann sollte ein solcher besonders schwerer Fall vorliegen, wenn nicht bei einer Verletzung der Grundrechtecharta? In der gegenständlichen Entscheidung findet sich jedenfalls kein Hinweis darauf, dass der Europäische Gerichtshof die Rückwirkung einschränken hätte wollen, was für ein Durchschlagen auf die bisherigen Verfahren der Übernahmekommission spricht. 

AutorIn

Peter Stiegler

Rechtsanwalt