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Quo Vadis Verfahrensbeteiligung? oder die (Wieder-)Auferstehung der Präklusion

02.02.2021 - Lesezeit: 5 Minuten

AutorIn

Josef Peer

Rechtsanwalt

Bernhard Scherzer

Rechtsanwalt

Im österreichischen Regime der Genehmigungsverfahren gilt der Grundsatz, dass sich Parteien am Verfahren aktiv beteiligen müssen oder ihre Parteistellung - und somit unter anderem das Recht, gegen eine Genehmigung ein Rechtsmittel zu erheben - durch die sogenannte Präklusion verlieren. Die Präklusion stellt daher einen der Grundpfeiler dar, um die Verfahren nicht ausufern zu lassen und Genehmigungsverfahren zu einem Abschluss zu bringen. 

Zur Rechtsprechung des EuGH

Dieser Grundsatz wurde durch die Judikatur des EuGH nicht nur in Österreich, sondern insbesondere auch in Deutschland (EuGH 15.10.2015, C-137/14 Kommission/Deutschland) mehrmals angegriffen und im Lichte der Aarhus-Konvention und des Grundsatzes der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit am Verfahren aufgeweicht. 

Nunmehr hat der EuGH in der RS Stichting ua (EuGH 14.1.2021, Rs C-826/18) die Präklusion zumindest teilweise wiederauferstehen lassen und gleichzeitig neue Aufgaben für den Österreichischen Gesetzgeber vorgesehen:

Konkret hatte der EuGH anhand der Genehmigung der Erweiterung und des Umbaus eines Betriebes in den Niederlanden im Wesentlichen die Fragen, 

  • ob für die nicht betroffene Öffentlichkeit iSd Art 2 Z 4 der Aarhus-Konvention das Recht auf Zugang zu Gerichten in vollem Umfang zulässig ausgeschlossen werden kann,
  • ob die Zulässigkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfes für NGOs als Teil der betroffenen Öffentlichkeit iSd Art 2 Z 5 der Aarhus-Konvention von einer vorangehenden Beteiligung am Verfahren abhängig gemacht werden kann, und
  • ob die Zulässigkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs für die Öffentlichkeit iSd Art 2 Z 4 der Aarhus-Konvention von einer vorangehenden Beteiligung am Verfahren abhängig gemacht werden kann

zu beurteilen.

Noch wenig überraschend und der bisherigen Rechtsprechung des EuGH entsprechend hat dieser zu den Fragen festgehalten, dass NGOs zur „betroffenen Öffentlichkeit“ gehören und ein Beschwerderecht nur Personen zukommt, die von den Auswirkungen eines Projekts betroffen sind.

Durchaus überraschend war aber die Klarstellung des EuGH dahingehend, dass die Aarhus-Konvention für NGOs als „betroffene Öffentlichkeit“ unabhängig von der Frage der Beteiligung am Verfahren ein Beschwerderecht vorsieht. Für die bloße „Öffentlichkeit“ sieht die Aarhus-Konvention allerdings kein uneingeschränktes Beschwerderecht vor und schließt nicht aus, dass die Zulässigkeit einer Beschwerde für die „Öffentlichkeit“ von der Beteiligung am Verfahren abhängig gemacht werden kann.

Der EuGH führt in diesem Zusammenhang zwar aus, dass es sich dabei um eine Einschränkung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht im Sinne von Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („Charta“) handelt. Solche Einschränkungen können aber nach Art 52 Abs 1 der Charta gerechtfertigt sein, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieses Rechts achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zusammenfassend hält der EuGH somit hinsichtlich der Präklusion fest: 

  • Bei Privatpersonen ist darauf abzustellen, ob sie (persönlich) von den Auswirkungen des Projekts betroffen sind, und ihnen nicht der berechtigte Vorwurf gemacht werden kann, sich nicht am Verfahren beteiligt zu haben.
  • Umweltorganisationen sind ex lege immer als betroffen anzusehen, weshalb ihnen unabhängig von der Beteiligung im Verfahren jedenfalls ein Beschwerderecht zusteht.

Konsequenzen für die Praxis

Für die Verfahrenspraxis bedeutet das Urteil des EuGH, dass die gesetzliche Anordnung einer Präklusion grundsätzlich zulässig ist und ein Abgesang auf die Präklusion verfrüht war. Das Urteil des EuGH wirft für die Praxis jedoch auch neue Problematiken auf:

Zunächst wird der Gesetzgeber tätig werden und Bestimmungen wie etwa § 40 Abs 1 UVP-G, welche die Beschwerdelegitimation bzw den Beschwerdeumfang an die Beteiligung am Verfahren knüpfen, für Umweltorganisationen überarbeiten müssen. Für die Praxis bedeutender ist aber der Umstand, dass eine fehlende Beteiligung von Umweltorganisationen im Verfahren erster Instanz nicht ausschließt, dass diese ein Beschwerdeverfahren einleiten, womit sich die Gefahr für Verfahrensverzögerungen erhöht.

In diesem Zusammenhang wird im Lichte Verfahrensbeschleunigung besonderes Augenmerk auf die Möglichkeiten des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung zu legen sein, dies insbesondere für große Infrastrukturprojekte, die auch im öffentlichen Interesse liegen (wie insbesondere dem Ausbau von Schieneninfrastruktur oder erneuerbarer Energien).
 

AutorIn

Josef Peer

Rechtsanwalt

Bernhard Scherzer

Rechtsanwalt