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Gibt es in Österreich nun ein (Grund-)Recht auf Klimaschutz?

17.04.2024

AutorIn

Armin Gamsjäger

Associate

Maximilian Reither

Associate

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte („EGMR“) hat in einer richtungsweisenden Entscheidung festgestellt, dass sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention („EMRK“) ein individuelles Recht auf wirksamen Schutz durch den Staat vor schwerwiegenden negativen Auswirkungen des Klimawandels auf Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität ableiten lässt.

In diesem Urteil hat sich der EGMR auch mit dem Beschwerderecht von Klimaschutzorganisationen auseinandergesetzt und klar zum Ausdruck gebracht, dass Vertragsstaaten der EMRK ebenjenen Klimaschutzorganisationen den Zugang zu nationalen Gerichten erleichtern müssen. 

„Neuland“ vor dem EGMR 

Ausgangspunkt des Urteils war die Beschwerde von vier Frauen und dem Schweizer Verein „Klimaseniorinnen Schweiz“, welche vorgebracht haben, dass vor allem ältere Frauen durch den Klimawandel und deren Folgen belastet seien. Die Beschwerdeführerinnen waren der Ansicht, dass die Schweiz nicht genügend Maßnahmen ergriffen habe, um sie vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, weshalb sie dadurch in ihren Rechten, basierend auf der EMRK, verletzt seien. 

Der EGMR und der Klimaschutz 

Vorauszuschicken ist, dass der EGMR die Beschwerden der einzelnen Frauen (die auch als Beschwerdeführerinnen aufgetreten sind) als unzulässig zurückgewiesen hat; demgegenüber hat er die Beschwerdelegitimation des Vereins bejaht. 

Der EGMR stellte ua fest, dass unzureichende staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels das Risiko schädlicher Folgen und daraus resultierender Bedrohungen für die Wahrnehmung der Menschenrechte verschärfen. Laut EGMR gäbe es hinreichend verlässliche Hinweise darauf, dass ein vom Menschen verursachter Klimawandel vorliege, welcher eine ernsthafte gegenwärtige und zukünftige Bedrohung für die Wahrnehmung der in der EMRK garantierten Menschenrechte darstelle. Die Staaten seien sich dessen bewusst und dazu in der Lage, Maßnahmen zur wirksamen Bewältigung des Problems zu ergreifen. 

Der EGMR betont zwar, dass er nur für die Auslegung der Bestimmungen der EMRK und seiner Protokolle zuständig sei, stellte jedoch fest, dass dies im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Vertragsstaaten, insbesondere im Rahmen des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und des Pariser Klimaabkommens von 2015 sowie im Lichte der überzeugenden wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolge; insbesondere aufgrund der Festlegungen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) seien die Staaten dazu verpflichtet, die notwendigen Vorschriften und Maßnahmen einzuführen bzw zu ergreifen, um einen Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen zu verhindern. 

Der EGMR verlangt allerdings nicht explizit die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes, sondern räumt einen relativ weiten Ermessensspielraum ein. Es obliegt somit dem Vertragsstaat (im konkreten Fall: der Schweiz), sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Klimaschutzziele erreichen zu können.

Konsequenzen für Österreich? 

Der EGMR hat erstmalig klar zum Ausdruck gebracht, dass im Falle von nicht ausreichender Setzung von Maßnahmen gegen den Klimawandel durch den Staat, Grund- und Menschenrechte verletzt sind. Als erster Schritt ist daher die Auseinandersetzung aller Vertragsstaaten (und damit auch der Republik Österreich) mit der Frage, ob sie genügend Maßnahmen gesetzt haben, um die Klimaziele zu erreichen bzw ob andere / weitere Klimaschutzmaßnahmen erforderlich sind, zu erwarten. Absehbar ist weiters, dass österreichische Klimaschutzorganisationen – auf der Grundlage des gegenständlichen Urteils – Österreich vor dem EGMR klagen werden. Dies hätte bei einem Erfolg die Konsequenz, dass Österreich (wie gegenständlich die Schweiz) mit konkreten Maßnahmen aktiv werden muss. 

Auf der Grundlage des Urteils wird Österreich weiters Sorge dafür tragen müssen, dass gerade, wenn es um klimaschutzrelevante Themen geht, Klimaschutzorganisationen der Zugang zu nationalstaatlichen Gerichten erleichtert wird. 

Hat die Entscheidung Einfluss auf den Verfassungsgerichtshof?

Der EGMR stützt seine Entscheidung auf Art 8 EMRK. Gemäß dieser Bestimmung ist das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs gewährleistet. 

Die EMRK steht in Österreich im Verfassungsrang und ist daher unmittelbar anzuwenden. Auch wenn das gegenständliche Urteil keine direkten Auswirkungen auf die Republik Österreich hat und daher auch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf des Gesetzgebers impliziert, wird sich der Verfassungsgerichtshof an der Rechtsprechung des EGMR, dem die Überwachung der Einhaltung der EMRK obliegt, orientieren. Dies hat folglich zur Konsequenz, dass das vom EGMR festgestellte, aus Art 8 EMRK abgeleitete Recht auf Klimaschutz nunmehr auch in Österreich gilt. 

Mangelnde Durchsetzbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen

Eine Frage, die sich immer wieder im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EGMR stellt, ist die Frage nach der (rechtlichen) Durchsetzbarkeit seiner Entscheidungen. Gerade im gegenständlichen Fall ist in erster Linie wohl an politische Konsequenzen zu denken, wie bspw die Möglichkeit des Ministerkomitees des Europarates, Druck auf den betroffenen Vertragsstaat auszuüben.

Fazit 

Vor allem Klimaschutzorganisationen werden wohl künftig den durch das Urteil zugesprochenen starken Hebel im Kampf gegen den Klimawandel einzusetzen versuchen. Fest steht, dass dieses Urteil weitreichenden Einfluss auf die Rechtsprechung der (nationalen) Gerichte bzw Gerichtshöfe haben und uns noch länger begleiten wird. 

AutorIn

Armin Gamsjäger

Associate

Maximilian Reither

Associate