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COVID-19: Handlungspflichten und Haftungsfalle?

27.12.2021 - Lesezeit: 5 Minuten

AutorIn

Florian Henöckl

Rechtsanwalt

Die Krise hat für viele Unternehmen und das Leitungsorgan zur Folge, dass gewohnte unternehmerische Entscheidungen und Konzepte samt Implementierung von Sanierungsschritten an die Krise anzupassen sind. Es besteht die Gefahr, dass das Unternehmen insolvent wird und das Leitungsorgan aufgrund keiner oder einer zu langsamen Reaktion zur Haftung herangezogen wird.

Ist die Krise im Regelfall nicht ein plötzlich auftretendes Ereignis, so stellte sich die Situation beim erstmaligen Auftreten der COVID-19 Pandemie anders dar. Mit der „4. Welle“ könnte das Argument des unerwarteten, plötzlich eintretenden Krisenfaktors jedoch an Wirkung verloren haben. Muss das Leitungsorgan die Auswirkungen der Krise daher bereits mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in der Unternehmensführung, insbesondere im Krisenmanagement, berücksichtigt haben?

Ganz allgemein ist das Leitungsorgan in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verpflichtet, sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, um den Bestand des Unternehmens zu sichern. Es gilt die materielle und formelle Insolvenz bis hin zur Zerschlagung des Unternehmens abzuwenden. Materiell insolvent ist der Schuldner, wenn er zahlungsunfähig oder insolvenzrechtlich überschuldet ist. Zahlungsunfähig ist er, wenn er mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel auch nicht innerhalb kurzer Zeit beschaffen kann (vgl OGH, 19.01.2011, 3 Ob 99/10w). Zahlungsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn der Schuldner einzelne Verbindlichkeiten erfüllen kann, sich jedoch einer „Loch-auf-Loch-zu“ Strategie bedient (OGH, 23.02.1989, 7 Ob 526/89). Insolvenzrechtliche Überschuldung liegt vor, wenn der Schuldner rechnerisch überschuldet ist und eine Fortbestehensprognose negativ ist. Rechnerische Überschuldung bedeutet, dass die Verbindlichkeiten des Schuldners das Vermögen, jeweils zu Liquidationswerten, übersteigen. Im Rahmen der Fortbestehensprognose ist die künftige Zahlungsfähigkeit und Lebensfähigkeit zu prüfen (OGH, 03.12.1986, 1 Ob 655/86). Formell insolvent ist der Schuldner mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

In Reaktion auf das erstmalige Auftreten der COVID-19 Krise als externem Krisenfaktor wurden vom Gesetzgeber wirtschaftliche und rechtliche Sofortmaßnahmen auch im Nahe- und unmittelbaren Bereich des Insolvenzrechts veranlasst. Diese Maßnahmen sind zum Teil noch in Kraft oder es kann auf sie wieder zurückgegriffen werden. Als wirtschaftliche – vor allem die Liquidität der Unternehmen schützende – Maßnahmen standen Kurzarbeit, Umsatzersatz, Härtefallfonds, Möglichkeit der Stundung bzw Ratenzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuerschulden oder Garantien zur Besicherung von Krediten zur Verfügung. Aus restrukturierungs- und insolvenzrechtlicher Sicht konnte das Unternehmen insbesondere auf folgende Maßnahmen zurückgreifen: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung und damit korrespondierend der Entfall der Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 69 IO; Sanierungsplan mit einer Zahlungsfrist für die Quote von drei anstelle von zwei Jahren ab Annahme des Sanierungsplans; ein Kredit im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts lag dann nicht vor, wenn ein Geldkredit für nicht mehr als 120 Tage gewährt und zugezählt wurde und die Gesellschaft für diesen weder ein Pfand noch eine vergleichbare Sicherheit aus ihrem Vermögen bestellt hatte. Die in § 3 Abs 1 Z 1 EKEG vorgesehene Negativdefinition wurde von 60 auf 120 Tage ausgedehnt. Am Beginn der Coronapandemie kam erschwerend hinzu, dass viele dieser Maßnahmen nur zur Verfügung standen, wenn sich der Antragsteller nicht bereits in der Krise befand und kein Insolvenzverfahren eröffnet war. Viele dieser Hilfsmaßnahmen konnten bei einer außergerichtlichen wie gerichtlichen Sanierung gerade nicht in Anspruch genommen werden.

Gleichzeitig knüpfen an der Insolvenznähe und der Insolvenz eine Vielzahl von rechtlichen – für das Unternehmen, die Gesellschafter und das Leitungsorgan – maßgeblichen Bestimmungen an: die Qualifizierung von finanziellen Unterstützungen durch den Gesellschafter als Eigenkapital (EKEG), das Anfechtungsrecht (§§ 27 ff IO) und die Haftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 69 IO). Ein Übersehen von Handlungsnotwendigkeiten kann den Bestand des Unternehmens (samt Arbeitsplätzen) gefährden, zu einem wirtschaftlichen Schaden der Eigentümer führen und nicht zuletzt eine Haftung des Leitungsorgans zur Folge haben.

Als Handlungsalternativen für das Leitungsorgan und potentielle Maßnahmen für die Sicherung des Bestands des Unternehmens kommen eine außergerichtliche oder gerichtliche Sanierung in Betracht. Eine außergerichtliche Sanierung erfolgt im Wesentlichen in drei Schritten:

  • Verhandlungen mit den wesentlichen Beteiligten (Banken, Arbeitnehmern, Lieferanten, Finanzamt, Österreichische Gesundheitskasse, etc);
  • Schaffung eines Maßnahmenpakets mit Sanierungsmaßnahmen (Stundungsvereinbarungen; Ratenvereinbarungen; Verzichte und Teilverzichte; Umschuldungen; Sanierungskredite, Nachrangabreden, Garantien, M&A Prozess sowie allenfalls auch die Verfolgung von Ansprüchen);
  • Umsetzung des Maßnahmenpakets (anhand einer Restrukturierungsvereinbarung oder eines Restrukturierungsplans nach der neuen Restrukturierungsordnung).

Es besteht aber auch im Rahmen eines (gerichtlichen) Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, sich zu sanieren. Das gesetzliche Leitbild sieht in einem drei Monate dauernden Sanierungsverfahren die Entschuldung mittels Sanierungsplans vor. Im Sanierungsplan muss den Insolvenzgläubigern eine Quote von 20%, zahlbar innerhalb von längstens zwei Jahren, angeboten werden. Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Verfahrensabläufe: Konkursverfahren und Sanierungsverfahren. In einem Sanierungsverfahren kann das Unternehmen saniert und in einem Konkursverfahren übertragend saniert werden oder es wird zerschlagen.

AutorIn

Florian Henöckl

Rechtsanwalt