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Aktuelle OGH-Entscheidung zu Wertsicherungsklauseln bringt Klarstellung und Richtungswechsel

04.08.2025

AutorIn

Edda Moharitsch-Unfricht

Rechtsanwältin

Erst kürzlich hatte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Verfassungskonformität des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG bestätigt. In unserem Blogbeitrag „VfGH-Erkenntnis zu Wertsicherungsklauseln im Mietverträgen – Viel Lärm um wenig Neues“ hatten wir erläutert, dass das VfGH-Erkenntnis zwar hohe mediale Aufmerksamkeit erzeugte, inhaltlich jedoch keine wesentliche Neuerung für Vermieter und Mieter brachte. Ganz im Gegenteil zur aktuellen OGH-Entscheidung vom 30. Juli 2025 (10 Ob 15/25s), in der sich der OGH erstmals im Detail mit der Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG, dem Anwendungsbereich dieser Norm sowie der dazu vorhandenen (durchaus sehr kritischen) Literatur auseinandersetzt und zu richtungsweisenden Ergebnissen gelangt: Die Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG sei auf langfristige Mietverträge nicht anwendbar. Wie es zu diesem bemerkenswerten Richtungswechsel kommt, erläutern wir in unserem Blogbeitrag:

Bisherige Entscheidungen des OGH

Die OGH-Judikatur der letzten Jahre (insbesondere 2 Ob 36/23t, 8 Ob 37/23h und 8 Ob 6/24a) und die darin (zT implizite, zT ausdrückliche) Bejahung der Anwendbarkeit von § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen hat medial große Beachtung gefunden und Vermieter, wie auch Mieter verunsichert. Die letzten Judikate des OGH haben nahegelegt, dass iSd § 6 Abs 2 Z 4 KSchG unzulässige Wertsicherungsklauseln zur Gänze wegfallen. Dies hätte zur Folge, dass das Mietverhältnis ohne Wertsicherungsabrede fortlebt und der Mieter Beträge, die er aufgrund von Wertanpassungen bezahlt hat, bereicherungsrechtlich zurückfordern kann.

In der aktuellen OGH-Entscheidung 10 Ob 15/25s vollzieht der OGH nun eine Kehrtwende:

Bezugnahme auf frühere OGH-Entscheidungen und Auseinandersetzung mit kritischen Literaturmeinungen

Der OGH hält zunächst fest, dass die bisherige OGH-Judikatur zur Anwendbarkeit von § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen stark von nebenbei vertretenen Rechtsmeinungen, impliziten Annahmen und beschlussmäßigen Zurückweisungsbeschlüssen geprägt war und eine „genaue Betrachtung“ zu § 6 Abs 2 Z 4 KSchG bei längeren Bestandverträgen bzw. sonstigen langfristigen Dauerschuldverhältnissen vermissen lässt. Gleichzeitig wird ausgeführt, dass genau aus diesem Grunde bisher nicht von einer gefestigten, ständigen Rechtsprechung ausgegangen werden kann und bei der vorliegenden Entscheidung daher auch kein „verstärkter Senat“ erforderlich gewesen sei, auch wenn das Ergebnis dieser Entscheidung durchaus im Spannungsverhältnis zu früheren Entscheidungen des OGH stünde.

In der aktuellen Entscheidung 10 Ob 15/25s setzt sich der OGH nun erstmals mit dem Schrifttum auseinander, welches die bisherige OGH-Judikatur (insbesondere 2 Ob 36/23t, 8 Ob 37/23h und 8 Ob 6/24a) und die darin enthaltene Bejahung der Anwendbarkeit von § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf (in der Praxis seit Jahrzehnten durchaus gängige) Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen kritisiert.

Der OGH übernimmt dabei wesentliche Kritikpunkte aus dem Schrifttum und trifft richtungsweisende Aussagen:

§ 6 Abs 2 Z 4 KSchG ist auf langfristige Mietverträge nicht anwendbar

Gemäß § 6 Abs 2 Z 4 KSchG ist eine Klausel unzulässig, wenn diese dem Unternehmer auf sein Verlangen für seine innerhalb von zwei Monaten nach der Vertragsschließung zu erbringende Leistung ein höheres als das ursprünglich bestimmte Entgelt zusteht, sofern die Klausel nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde. Durch das Erfordernis einer „Aushandlungsvereinbarung“ sollen Verbraucher, die typischerweise nicht mit einer besonders kurzfristigen Erhöhung des Entgelts rechnen, vor Überraschungen geschützt werden. Der Zweck der Norm beschränke sich auf die Verhinderung dieses Überraschungsmoments, so der OGH. § 6 Abs 2 Z 4 KSchG habe daher schon nach seinem Zweck nur solche Verträge im Blick, die vom Unternehmer innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums vollständig zu erfüllen sind. Die Regel des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG gelte daher (nur) für solche Verträge, die unverzüglich oder doch sehr rasch (binnen zwei Monaten) zu erfüllen sind.

Der OGH stellt klar, dass eine Anwendbarkeit der Norm auf Dauerschuldverhältnisse nicht generell ausgeschlossen wird. Die Trennlinie hinsichtlich der Anwendbarkeit sei nicht zwischen Ziel- und Dauerschuldverhältnissen zu ziehen, sondern dahingehend, ob die Leistung des Unternehmers vollständig innerhalb einer im Vertrag vorgesehenen Leistungsfrist von zwei Monaten zu erbringen ist oder nicht. Das ist bei klassischen Bestandverträgen über Wohnungen oder Geschäftsräume (anders etwa als bei Verträgen über Mietwägen, Urlaubsunterkünfte oder Tennisplätze) in aller Regel eben nicht der Fall. Langfristige Bestandverträge sind gerade nicht „unverzüglich oder doch sehr rasch zu erfüllen“.

Fazit: Auf Dauerschuldverhältnisse (etwa Bestandverträge), die darauf angelegt sind, dass die Leistung des Unternehmers (Vermieters) nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Vertragsschließung vollständig zu erbringen ist, ist § 6 Abs 2 Z 4 KSchG nicht anwendbar.

Teilbarkeit von Klauseln

Der OGH bestätigt, dass (Wertsicherungs-)Klauseln teilbar sein können: Unwirksamkeit einzelner Regelungen, etwa einer Ersatzindex-Klausel, führt nicht zwingend zum Wegfall der gesamten Wertsicherung. Diese Sichtweise ermöglicht eine differenziertere rechtliche Bewertung und verhindert übermäßige Rechtsfolgen bei nur punktuell fehlerhaften Vertragsbestimmungen.

Der OGH nimmt in diesem Zusammenhang auch Bezug zur Rechtsprechung des EuGH, wonach eine missbräuchliche Klausel im Individualprozess ganz wegfällt. Für bestehende Mietverhältnisse brächte die Anwendung des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf langfristige Mietverträge enorme Unbilligkeiten, weil wegen der Judikatur des EuGH zur Klauselrichtlinie die Gefahr bestünde, dass das Mietverhältnis ohne Wertsicherungsabrede fortlebte und der Mieter Beträge, die er aufgrund von Wertanpassungen bezahlt hat, bereicherungsrechtlich zurückfordern könnte. Dies sei insbesondere bei einem kündigungsgeschützten unbefristeten Mietverhältnis unverhältnismäßig. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auch bei Kenntnis dieser Rechtsfolge unterschiedslos auf (alle) Dauerschuldverhältnisse angewendet wissen wollte. Auch objektiv wäre diese Anwendung wegen der im Verhältnis zum Unrechtsgehalt überschießenden Rechtsfolge nur schwer vertretbar, so der OGH.

Kein Widerspruch zum VfGH-Erkenntnis?

Angesichts des erst kürzlich ergangenen VfGH-Erkenntnisses zum Thema Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen (siehe zum VfGH-Erkenntnis unser Blogbeitrag VfGH-Erkenntnis zu Wertsicherungsklauseln im Mietverträgen – Viel Lärm um wenig Neues ) sieht sich der OGH offenbar in der Pflicht, zur Vereinbarkeit seiner Entscheidung mit dem zuletzt ergangenen Erkenntnis Stellung zu nehmen. Der OGH hält fest, dass der Hinweis des VfGH auf die Anwendbarkeit des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf Dauerschuldverhältnisse nicht im Widerspruch zu dem vom OGH erzielten Ergebnis stünde. Dies vor allem auch deshalb, weil aus einigen der im VfGH-Erkenntnis angeführten Entscheidungen (4 Ob 28/01y; 3 Ob 12/09z; 5 Ob 159/09g) keine Aussage des Obersten Gerichtshofs zur Frage zu entnehmen sei, ob § 6 Abs 2 Z 4 KSchG überhaupt auf Dauerschuldverhältnisse anwendbar ist.

Zum Ausgangsmonat für die Wertsicherung

Der OGH hält in seiner Entscheidung auch noch fest, dass eine an die zuletzt verlautbarte Indexzahl anknüpfende Wertsicherungsvereinbarung durchaus verkehrs- bzw. branchenüblich und damit nicht objektiv ungewöhnlich iSd § 864a ABGB sei. Gegen eine solche Klausel bestünden auch keinen Bedenken im Lichte des Sachlichkeitsgebots des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG. Unproblematisch erscheint das Abstellen auf die letzte verlautbarte Indexzahl im Übrigen auch mit Blick auf § 16 Abs 6 Satz 3 MRG, der Entsprechendes im Ergebnis für die gesetzliche Valorisierung der Kategorie- und Richtwertzinse vorsieht, so der OGH.

Fazit: Die Anknüpfung an den zuletzt vor Vertragsabschluss verlautbarten Index ist daher zulässig, branchenüblich und sachlich gerechtfertigt. Selbst wenn irrtümlich ein älterer Ausgangsmonat (hier: Mai 2017) im Vertrag stand, kann durch praktische Handhabung (z. B. Umstellung auf Dezember 2020) und konkludente Zustimmung der Parteien eine Korrektur erfolgen. Diese Klarstellung beseitigt Zweifel, die in der Praxis häufig zu Anfechtungen führten.

Wertsicherung „keine Entgelterhöhung“

Der OGH hält außerdem fest, dass durch die Vereinbarung eines wertgesicherten Bestandzinses der Bestandnehmer nicht mehr (bei Inflation) oder weniger (bei Deflation) Entgelt zu leisten habe, als im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vereinbart worden sei, wenngleich sich der nominelle Geldbetrag ändere. Eine durch die maßgeblichen Umstände in einem Bestandvertrag klar umschriebene Wertsicherungsklausel sei schon begrifflich keine einseitige Entgelterhöhung und erfülle (auch in der kundenfeindlichsten Auslegung) nicht den Tatbestand des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG. Außerdem sei die Auslegung von Vertragsbestimmungen im Individualprozess nicht „im kundenfeindlichsten Sinn“ vorzunehmen, sondern habe vielmehr nach den Grundsätzen der §§ 914, 915 ABGB zu erfolgen.

Praktische Auswirkungen

Die OGH-Entscheidung beendet eine Phase der Unsicherheit und schafft eine klare Grundlage für die Beurteilung von Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen. Sie verdeutlicht, dass sich Rechtsentwicklung auch in kleinen Schritten vollziehen kann: Während das VfGH-Erkenntnis vom Juni 2025 die Verfassungskonformität des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG bestätigte, legt der OGH nun fest, dass diese Norm auf langfristige Mietverhältnisse von vornherein nicht anwendbar ist.

Das Ergebnis ist eine Stärkung der Rechtssicherheit für Vermieter, Mieter und Investoren und eine Entlastung von unnötigen Rechtsstreitigkeiten. Damit endet eine Phase erheblicher Unsicherheit und ermöglicht eine Rückkehr zu einer stabilen Vertragsgestaltungspraxis.

AutorIn

Edda Moharitsch-Unfricht

Rechtsanwältin