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Aktuelle BVwG Entscheidung zur menschlichen Einflussnahme bei (ausschließlich) automatisierten Entscheidungen nach Art 22 DSGVO im Fall des „AMS-Algorithmus“

22.09.2025

AutorIn

Monika Sturm

Partnerin

Claudia Magor

Associate

Am 1. September 2025 entschied das Bundesverwaltungsgericht („BVwG“) in der Entscheidung W256 2235360-1, dass das sogenannte Arbeitsmarktchancen Assistenz-System („AMAS“) - ein auf einem Algorithmus basierendes System zur Berechnung der Arbeitsmarktchancen von Arbeitssuchenden, das die Vergabe von Fördermaßnahmen effizienter gestalten sollte – nicht gegen Art 22 DSGVO verstößt. Damit nahm der langjährige Rechtsstreit zwischen dem Arbeitsmarktservice („AMS“) und der Datenschutzbehörde („DSB“) eine Wendung, bei dem es zuletzt um die Frage ging, inwieweit menschliche Einflussnahme den Anwendungsbereich von Art 22 DSGVO ausschließt.

Hintergrund des Verfahrens

Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Bescheid der DSB vom August 2020, mit dem dem AMS die Verwendung des AMAS ab Jänner 2021 untersagt wurde. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass es an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Datenverarbeitung fehle und darüber hinaus eine unzulässige automatisierte Entscheidung iSd Art 22 DSGVO vorliege.

Nach Einlegung einer Beschwerde hob das BVwG dieses Verbot zunächst auf. Der Verwaltungsgerichtshof („VwGH“) kassierte diese Entscheidung jedoch nach ordentlicher Revision der DSB und verwies den Fall zur ergänzenden Feststellung und erneuten rechtlichen Beurteilung zurück an das BVwG. In seiner Entscheidung orientierte sich der VwGH am „SCHUFA-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (C-634/21), wonach ein automatischer Score auch dann eine verbotene Entscheidung darstellen kann, wenn formal noch ein Mensch beteiligt ist, faktisch jedoch die Maschine die maßgebliche Rolle übernimmt.

Zudem stellte der VwGH klar, dass die Datenverarbeitung im Rahmen von AMAS nicht hoheitlich, sondern der Privatwirtschaft zuzurechnen ist. Während das Arbeitslosengeld selbst hoheitlich gewährt wird, bestehen auf Beratung und Betreuungspläne keine Rechtsansprüche. Bescheide dazu werden nicht erlassen.

Darüber hinaus stellte der VwGH fest, dass die gesetzliche Grundlage für die Datenverarbeitung zwar gegeben war, der Fall aber hinsichtlich der zentralen Frage, ob bei der Verwendung des AMAS eine unzulässige automatisierte Entscheidung vorliegt, neu bewertet werden müsse. 

In der aktuellen Entscheidung vom 1. September 2025 erklärte das BVwG das Verbot der DSB für rechtswidrig, hob den Bescheid ersatzlos auf und wies die ordentliche Revision als unzulässig ab. AMAS wäre unter den festgelegten Rahmenbedingungen daher zulässig gewesen. Für die DSB bleibt letztlich nur noch die Möglichkeit einer außerordentlichen Revision.

AMAS und die Frage substanzieller menschlicher Kontrolle

Das Arbeitsmarktchancen Assistenz-System sollte die Arbeit des AMS effizienter gestalten, indem es anhand von Daten wie Alter, Ausbildung oder beruflichem Werdegang die Arbeitsmarktchancen von Personen berechnete und diese in drei Kategorien – hoch, mittel oder niedrig – einstufte. Diese Einteilung hatte unmittelbare Folgen für die Fördermöglichkeiten. So waren etwa teure oder langwierige Maßnahmen für die Gruppe mit niedrigen Chancen zunächst ausgeschlossen. Gleichzeitig blieb es jedoch den AMS-Beratern jedoch vorbehalten, solche Grenzen im Einzelfall zu durchbrechen. Sie konnten den Algorithmuswert nicht nur ignorieren, sondern dauerhaft korrigieren – die letzte Entscheidung lag also stets bei den Menschen.

Genau an diesem Punkt setzte das Verfahren zuletzt vor dem BVwG an. Artikel 22 DSGVO verbietet grundsätzlich ausschließlich automatisierte Einzelentscheidungen. Die zentrale Frage war daher, ob AMAS ein solches System darstellt oder ob die menschliche Einflussnahme tatsächlich substanziell ist. Das BVwG stellte dazu fest, dass die Rolle der Berater nicht bloß symbolisch, sondern wesentlich war. Sie waren verpflichtet, eigene Einschätzungen vorzunehmen und Faktoren wie Motivation, Wohnsituation, Sprachkenntnisse oder Betreuungsaufgaben einzubeziehen. Abweichungen zwischen dem System und der eigenen Einschätzung mussten aktiv dokumentiert und der AMAS-Wert dauerhaft korrigiert werden. Darüber hinaus waren persönliche Gespräche zwischen Beratern und Arbeitssuchenden vorgesehen, in denen die Arbeitseinschätzung besprochen wurde. Zudem gab es Schulungen, interne Kontrollen und Ombudsstellen, die sicherstellten, dass diese Verantwortung auch wahrgenommen wurde. Das Gericht sah darin die Anforderungen an eine „meaningful human oversight“ als erfüllt an. AMAS wurde damit eindeutig als Assistenzsystem und nicht als automatisierter Entscheider eingeordnet.

Auswirkungen für Unternehmen

Für Unternehmen ist dieser Fall insofern relevant, als der VwGH mit seiner Unterscheidung klargestellt hat, dass die Maßstäbe nicht nur für hoheitliches Handeln, sondern auch für die privatwirtschaftliche Nutzung automatisierter Datenverarbeitung gelten. Damit beim Einsatz von automatisierten Systemen wie Scoring-Modellen oder KI-gestützten Entscheidungsunterstützungen keine unzulässige automatisierte Entscheidung iSd Art 22 DSGVO vorliegt, muss eine echte, substanziell ausgestaltete menschliche Kontrolle vorgesehen und transparent nachweisbar sein. Ein rein theoretisches Eingriffsrecht genügt nicht.
 

AutorIn

Monika Sturm

Partnerin

Claudia Magor

Associate