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Vergaberechtliche Auswirkungen des Coronavirus

12.03.2020 - Lesezeit: 1 Minuten

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In Krisensituationen ermöglicht das BVergG 2018 öffentlichen Auftraggebern gewisse Erleichterungen in der Abwicklung von Vergabeverfahren durch beschleunigte Verfahren oder Ausnahmeverfahren, wie das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung. Die Wahl solcher Erleichterungen ist aber immer im Einzelfall zu prüfen, zu begründen und zu dokumentieren.

Aufgrund von Krankheitsfällen oder Home-Office Arbeit können organisatorische Maßnahmen erforderlich werden. Bieter sollten in diesem Fall beachten, dass Angebotsfristen nicht versäumt werden und die rechtlichen Möglichkeiten (beispielsweise Vollmachten) sowie technischen Möglichkeiten zur Angebotsabgabe (Zugang zu Plattformen, Lizenzen etc) sichergestellt sind.

Auftraggeber können in laufenden Vergabeverfahren beispielsweise durch Verlängerung von Teilnahme- und Angebotsfristen sowie der Berichtigung bzw Adaptierung von Ausschreibungsunterlagen auf die Coronakrise reagieren. Fallweise kann es erforderlich werden, neue Lieferzeiten einzuplanen oder Pönalen auszusetzen.

Die Auswirkungen des Coronavirus können in bestehenden Auftrags- und Vertragsverhältnissen Leistungs- und Vertragsänderungen erforderlich machen (beispielsweise durch Erhöhung eines Auftragsvolumens oder der Abbestellung von Leistungen). Wesentlich dabei ist, die Vorgaben an die Vertragsänderungen gemäß § 365 BVergG 2018 genau zu beachten.

Bei geplanten Vergaben ist es notwendig, auch künftig erforderliche Vertragsänderungen mitzudenken und zu prüfen, ob beispielsweise durch entsprechende Vertragsänderungsklauseln auf künftigen Änderungsbedarf vergaberechtskonform reagiert werden kann und soll.

Das Vergaberecht schreibt Auftraggebern den zwingenden Ausschluss von Bietern vor, die frühere Aufträge schlecht erfüllt haben. Erhebliche Leistungsverzögerungen oder Leistungsausfälle – mögen diese auch durch die Coronakrise bedingt sein – sind daher aus vergaberechtlicher Sicht problematisch.

Bietern ist daher zu empfehlen, Ausschlussentscheidungen genau zu prüfen und allenfalls anzufechten. Jedenfalls sollten aber rechtzeitig Maßnahmen zur vergaberechtlichen „Selbstreinigung“ gesetzt werden, um einen Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren möglichst zu verhindern, wenn es in einem laufenden Auftragsverhältnis zur Vertragskündigung oder zu Vertragsstrafen bzw Schadenersatzforderungen bzw ähnlichen Sanktionen aufgrund einer Schlechterfüllung gekommen ist.

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Das Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) erlaubt es öffentlichen Auftraggebern in Krisensituationen grundsätzlich mit schnelleren und einfacheren Vergaben zu reagieren. Um solche Erleichterungen in der Vergabe nutzen zu können, müssen strenge Kriterien erfüllt sein.

  • Beschleunigtes Verfahren

Erster Schritt einer dringenden Vergabe in einer Ausnahmesituation sollte es sein, die Anwendbarkeit und sinnvolle Durchführbarkeit eines beschleunigten Verfahrens zu prüfen.

Öffentliche Auftraggeber können dabei verkürzte Fristen festsetzen, wenn die Einhaltung der Fristen nicht möglich ist (vgl § 74 BVergG 2018).

So kann eine Teilnahmefrist von mindestens 15 Tagen und eine Angebotsfrist von mindestens 10 Tagen im nicht offenen Verfahren bzw Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung vorgesehen werden. Die Angebotsfrist kann auf mindestens 15 Tage im offenen Verfahren reduziert werden.

Voraussetzung dafür ist, dass der öffentliche Auftraggeber die Dringlichkeit hinreichend begründen kann.

Die gegenwärtige Situation durch die Ausbreitung von COVID-19 wird wohl in vielen Konstellationen eine entsprechende Begründung für eine beschleunigte Vergabe darstellen können. Wenn für ein beschleunigtes Verfahren nicht ausreichend Zeit bleibt, steht dem Auftraggeber darüber hinaus eine Vergabe aus dringlichen Gründen offen.

  • Verfahren ohne Bekanntmachung

Für alle Auftragsarten sieht das BVergG 2018 die Möglichkeit vor, aus „äußerst dringlichen, zwingenden Gründen“ ein Verhandlungsverfahren ohne vorheriger Bekanntmachung durchzuführen.

Dafür müssen drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Es liegt ein unvorhersehbares Ereignis vor
  • Äußerst dringliche und zwingende Gründe lassen die Einhaltung der Fristen für die Regelverfahren nicht zu
  • Es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden dringlichen und zwingenden Gründen

Die Umstände, die eine zwingende Dringlichkeit begründen, dürfen nicht dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreiben sein. Bleibt ausreichend Zeit, um ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen, steht dieses Ausnahmeverfahren ebenso nicht zur Wahl.

Als unvorhersehbare Ereignisse bezeichnen die Erläuterungen zum BVergG 2018 Ereignisse, „die den Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sprengen“, und nennt beispielsweise Naturkatastrophen, die dringende Lieferungen für Hilfsleistungen und zum Schutz der Opfer erfordern oder außergewöhnliche Waldbrände.

Eine Krisensituation erlaubt es jedoch nicht, dass alle öffentlichen Auftraggeber jede Leistung in einem Ausnahmeverfahren beschaffen. Nur jene Arten und Mengen von Waren und Leistungen, die aufgrund der kritischen Lage unmittelbar erforderlich sind, können so beschafft werden. Werden Leistungen nach einer Krisensituation benötigt, muss der öffentliche Auftraggeber „regulär“ ausschreiben. Zur Angebotslegung im Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung dürfen bei Vorliegen einer solchen Situation auch weniger als drei Bietern aufgefordert werden.

Durch die zu erwartende weitere Ausbreitung von COVID-19 mit all den damit verbundenen Folgen (Quarantänen, drohenden Leistungsausfällen, Einschränkungen im Warenverkehr etc) wird die Zulässigkeit der Anwendbarkeit solcher Ausnahmeverfahren von öffentlichen Auftraggebern im Einzelfall dringend näher zu prüfen sein.

Auch in Krisensituationen ist die ausreichende Dokumentation und Begründung der Wahl des Vergabeverfahrens sowie von Vergabeentscheidungen zwingend erforderlich.

  • Ausnahme vom Vergaberecht

Wenn die Situation weiter eskaliert, könnten Vergaben auch ohne Einhaltung des Vergaberechts gerechtfertigt sein. Der Ausnahmetatbestand gemäß § 9 Abs 1 Z 3 BVergG 2018 erfordert aber, dass dies zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Republik erforderlich ist, die für den Bestand oder das Funktionieren der Republik fundamentale Auswirkungen haben. Dieser Weg wird als ultima ratio beschrieben und setzt voraus, dass keine anderen vergaberechtlichen Möglichkeiten offenstehen.

Während laufender Vergabeverfahren ist für Bieter zu beachten, dass Angebotsfristen nicht versäumt werden und die rechtlichen Möglichkeiten (beispielsweise Vollmachten) sowie technischen Möglichkeiten zur Angebotsabgabe (Zugang zu Plattformen etc) sichergestellt sind.

Auftraggeber können in laufenden Verfahren durch Verlängerung von Teilnahme- und Angebotsfristen sowie der Berichtigung bzw Adaptierung von Ausschreibungsunterlagen auf die Krise reagieren. Oftmals wird es – auch im Hinblick auf einen entsprechenden Bieterwettbewerb – erforderlich sein, neue Lieferzeiten einzuplanen oder Pönalen auszusetzen.

Für Auftraggeber stellen sich aufgrund der gegenwärtigen Lage aufgrund des Coronavirus auch bei der Abwicklung von Aufträgen zahlreiche Fragen.

Um beispielsweise auf erhöhten Bedarf reagieren zu können, ist maßgeblich, ob und inwieweit bestehende Aufträge geändert werden dürfen. Für Auftragnehmer stellt sich insbesondere die Frage, welche Folgen mögliche Leistungsausfälle bei öffentlichen Aufträgen nach sich ziehen können.

  • Leistungs- und Vertragsänderungen

Das BVergG 2018 schreibt öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich vor, in den Vertragsgrundlagen Regelungen über Mehr- und Minderleistungen zu treffen. Regelmäßig werden – auch durch die Einbeziehung von entsprechenden Vertragsstandards (beispielsweise ÖNORMEN) – vertragliche Möglichkeiten bestehen, Leistungsänderungen in bereits vergebenen Aufträgen festzulegen bzw zu vereinbaren.

Gerade aber für geplante Vergaben bzw Krisenvergaben wird eine entsprechende detaillierte Formulierung von Leistungs- bzw Vertragsänderungsrechten oder Abbestellmöglichkeiten wesentlich sein.

Wesentlich dabei ist aber die Einhaltung bzw die vorausschauende Berücksichtigung des § 365 BVergG 2018 bei der Vertragsgestaltung. Diese Bestimmung legt fest, inwieweit nachträgliche Vertragsänderungen zulässig sind, wann eine Vertragsänderung wesentlich ist und dadurch die Pflicht zur Neuausschreibung begründet wird.

Liegt also eine Vertragsänderung vor, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob diese im Katalog unwesentlicher und zulässiger Vertragsänderungen gemäß § 365 Abs 3 Deckung findet (zB Änderungen der Auftragssumme, die 10% bzw 15% nicht übersteigen, Änderungen aufgrund von klar und eindeutigen Änderungsklauseln, bestimmte Arten des Vertragspartnerwechsels etc). Lässt sich die Vertragsänderung dort nicht einordnen, ist zu prüfen, ob eine wesentliche Vertragsänderung vorliegt.

Dabei sind insbesondere die zwingend als wesentlich einzustufenden Änderungen gemäß § 365 Abs 2 BVergG 2018 maßgeblich (beispielsweise Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Vertrags zugunsten des Auftragnehmers oder erhebliche Ausweitung oder Verringerung des Umfangs des Vertrags).

Im Fall von erforderlichen Leistungs- bzw Vertragsänderungen ist daher der Auftrag und die Vertragslage genau zu prüfen. Die Vorgaben des § 365 BVergG 2018 sind dabei einzuhalten.

Gerade für anstehende Auftragsvergaben ist in den Vertragsgrundlagen eine Festlegung klarer Änderungsklauseln dringend zu empfehlen, um für antzipierbaren Änderungsbedarf entsprechend gerüstet zu sein.

  • Leistungsausfälle: drohender Ausschluss?

Das BVergG 2018 ordnet in § 78 Abs 1 Z 9 BVergG 2018 (bzw für Sektorenauftraggeber von § 249 Abs 2 Z 8 BVergG 2018) den zwingenden Ausschluss von Bietern an, wenn Bieter frühere Aufträge erheblich oder dauerhaft schlecht erfüllt haben und der Auftraggeber gewisse Sanktionen (vorzeitige Beendigung, Schadenersatz bzw Vertragsstrafen oder vergleichbare Sanktionen, wie Ersatzvornahmen, Rechnungskürzungen etc.) gesetzt hat.

Erhebliche Leistungsverzögerungen bzw Leistungsausfälle in einem aktuellen öffentlichen Auftragsverhältnis können also gravierende Auswirkungen für Bieter in künftigen Vergabeverfahren haben.

In den Erläuterungen zum BVergG 2018 wird festgehalten, dass eine solche Schlechterfüllung dann nicht als Ausschlussgrund zu berücksichtigen wäre, wenn die Streitigkeit über die Vertragserfüllung gerichtsanhängig ist. Dieser „Ausweg“ steht Auftragnehmern aufgrund einer aktuellen Entscheidung des EuGHs jedoch nicht (mehr) offen. Der EuGH hat festgehalten, dass ein öffentlicher Auftraggeber in der Beurteilung der Zuverlässigkeit von Bietern nicht von einer Entscheidung eines Gerichts abhängig gemacht werden darf (vgl EuGH 19.06.2019 C‑41/18, Meca).

Ausschlussentscheidungen muss ein Auftraggeber also jedenfalls auch dann treffen, wenn die (zivilrechtliche) Rechtsmäßigkeit einer Vertragskündigung oder die Schuldfrage einer Schadenersatzforderung noch nicht gerichtlich geklärt sind. Aus vergaberechtlicher Sicht ist der Grund für eine Leistungsverzögerung bzw einen Leistungsausfall – mag dieser auch in der Verbreitung des SARS-CoV-2 liegen – insofern unbeachtlich, wenn eine entsprechende vertragliche Sanktion gesetzt wurde.

Vor dem Hintergrund möglicher Ausschlüsse von Vergabeverfahren aufgrund von Leistungsausfällen bzw Leistungsverzögerungen und einer damit verbundenen Auftragssperre von bis zu drei Jahren werden Bieter vertragsrechtliche Folgen und Ausschlussentscheidungen von Auftraggebern im Vergabeverfahren jedenfalls genau zu prüfen und allenfalls im Rahmen einer Nachprüfung zu bekämpfen haben. Im Zweifelsfall sind entsprechende Maßnahmen zur „Selbstreinigung“ zu setzen, um Auftragssperren zu verhindern. Zur Glaubhaftmachung der Zuverlässigkeit muss der Bieter nachweisen, dass er insbesondere nachstehende Maßnahmen gesetzt hat:

  1. Schadenswiedergutmachung bzw Verpflichtung zum Ausgleich
  2. Aktive Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden
  3. Einführung von Bericht- und Kontrollsystemen, Einrichtung eines Organs zur inneren Revision, Einführung von internen Haftungs- und Schadenersatzregelungen

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Die aktuellen Umstände aufgrund der Verbreitung des Coronavirus stellen auch die öffentliche Beschaffung vor nicht unerhebliche, jedoch lösbare Herausforderungen. In Krisensituationen ermöglicht das BVergG 2018 öffentlichen Auftraggebern gewisse Erleichterungen in der Abwicklung von Vergabeverfahren durch beschleunigte Verfahren oder Ausnahmeverfahren, wie das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung. Die Wahl solcher Erleichterungen ist aber immer im Einzelfall zu prüfen, zu begründen und zu dokumentieren.

Aufgrund von Krankheitsfällen oder Home-Office Arbeit können organisatorische Maßnahmen erforderlich werden. Bieter sollten in diesem Fall beachten, dass Angebotsfristen nicht versäumt werden und die rechtlichen Möglichkeiten (beispielsweise Vollmachten) sowie technischen Möglichkeiten zur Angebotsabgabe (Zugang zu Plattformen, Lizenzen etc) sichergestellt sind.

Auftraggeber können in laufenden Vergabeverfahren beispielsweise durch Verlängerung von Teilnahme- und Angebotsfristen sowie der Berichtigung bzw Adaptierung von Ausschreibungsunterlagen auf die Coronakrise reagieren. Fallweise kann es erforderlich werden, neue Lieferzeiten einzuplanen oder Pönalen auszusetzen.

Die Auswirkungen des Coronavirus können in bestehenden Auftrags- und Vertragsverhältnissen Leistungs- und Vertragsänderungen erforderlich machen (beispielsweise durch Erhöhung eines Auftragsvolumens oder der Abbestellung von Leistungen). Wesentlich dabei ist, die Vorgaben an die Vertragsänderungen gemäß § 365 BVergG 2018 genau zu beachten.

Bei geplanten Vergaben ist es notwendig, auch künftig erforderliche Vertragsänderungen mitzudenken und zu prüfen, ob beispielsweise durch entsprechende Vertragsänderungsklauseln auf künftigen Änderungsbedarf vergaberechtskonform reagiert werden kann und soll.

Das Vergaberecht schreibt Auftraggebern den zwingenden Ausschluss von Bietern vor, die frühere Aufträge schlecht erfüllt haben. Erhebliche Leistungsverzögerungen oder Leistungsausfälle – mögen diese auch durch die Coronakrise bedingt sein – sind daher aus vergaberechtlicher Sicht problematisch. Bietern ist daher zu empfehlen, Ausschlussentscheidungen genau zu prüfen und allenfalls anzufechten. Jedenfalls sollten aber rechtzeitig Maßnahmen zur vergaberechtlichen „Selbstreinigung“ gesetzt werden, um einen Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren möglichst zu verhindern, wenn es in einem laufenden Auftragsverhältnis zur Vertragskündigung oder zu Vertragsstrafen bzw Schadenersatzforderungen bzw ähnlichen Sanktionen aufgrund einer Schlechterfüllung gekommen ist.

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