Verbot der Wolfsjagd in Österreich laut EuGH weiterhin gültig
16.07.2024
AutorIn
Christina Klapf
Rechtsanwältin
Lukas Reichmann
Associate
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In der am 11. Juli 2024 veröffentlichten Entscheidung C-601/22 hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) festgestellt, dass die Wolfsjagd in Österreich weiterhin verboten bleibt. Eine Ausnahme von diesem Verbot kann nach Ansicht des Gerichts nur dann gewährt werden, wenn sich die Wolfspopulation in einem günstigen Erhaltungszustand befindet, was in Österreich derzeit nicht der Fall ist. Nach den ersten Berichten aus den Bundesländern signalisieren diese weiterhin die Intention, „Schadwölfe“ zu entnehmen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die bisherige Vorgehensweise unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH weiterhin zulässig ist.
Hintergrund und Ausgangsverfahren
Ein Abschuss von Wölfen gilt nicht erst seit dem diesem Urteil zugrunde liegenden Ausgangsfall als „juristischer Grenzgang“. Die Rückkehr des Wolfes in seinen ursprünglichen Lebensraum stellt uns (immer häufiger) vor neue Herausforderungen. Da sich der bevorzugte Lebensraum des Wolfes über unsere gesamte Kulturlandschaft erstreckt und Österreich somit in vielerlei Hinsicht ideale Lebensbedingungen für den Wolf bietet, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Meldungen über Wolfsnachweise häufen.
Der Rechtssache C-601/22 liegt ein Tiroler Fall zugrunde, in dem ein Wolf im Sommer 2022 auf ungeschütztem Tiroler Weideland in etwa 20 Schafe gerissen hat. Die Tiroler Landesregierung hat daraufhin einen Bescheid erlassen, der die geregelte Entnahme des Wolfes – mit anderen Worten den Abschuss eines bestimmten Wolfes – vorgesehen hat. Gegen diesen Bescheid haben mehrere Tierschutzorganisationen beim Tiroler Landesverwaltungsgericht („LVwG“) Beschwerde eingelegt.
Das LVwG hat daraufhin den EuGH um eine Auslegung des EU-Rechts gebeten. Im Kern ging es (vereinfacht dargestellt) um die Frage, ob nationale Maßnahmen zur Regulierung der Wolfsbestände mit der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie („FFH-RL“) vereinbar sind.
Aktuelle Rechtslage
Die Zielsetzung der FFH-RL besteht insbesondere in der Bewahrung oder Wiederherstellung bestimmter wildlebender Tier- und Pflanzenarten. Eine der Tierarten, die gemäß dem Anhang IV der FFH-Richtlinie als eine „streng zu schützende Tierart von gemeinschaftlichem Interesse“ klassifiziert wird, ist der Wolf. Daraus folgt, dass neben dem absichtlichen Fangen oder Stören auch die Entnahme eines Wolfes – wie im gegenständlichen Fall durch den Abschuss – eine Abweichung von Art 12 der FFH-RL darstellt. Der durch diese Bestimmung gewährleistete Schutz ist allerdings nicht absolut, da die FFH-RL in Art 16 eine Ausnahmebestimmung vorsieht, welche eine Bejagung unter bestimmten (durchaus restriktiven) Voraussetzungen zulässt. Die genannten Bedingungen umfassen beispielsweise die Prävention von Schäden, die für die Tierhaltung von wirtschaftlicher oder sozialer Relevanz sind, sowie von Schäden, die aus überwiegendem öffentlichem Interesse resultieren. Zu berücksichtigen ist, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stehen darf und der günstige Erhaltungszustand der Population gewährleistet bleiben muss.
Die größte Herausforderung, die sich aus der Berücksichtigung der Vorgaben des Art 16 FFH-RL ergibt, besteht in der Sicherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der betroffenen Arten des Anhangs IV der FFH-RL im Falle einer Anwendung der Ausnahmeregelungen. Diese Regelung ist insofern herausfordernd, da zahlreiche Arten lediglich aufgrund ihrer Seltenheit und Gefährdung in den Anhängen angeführt werden und bereits deshalb in keinem günstigen Erhaltungszustand verweilen.
Kernaussagen des Urteils
Der EuGH hat sich einerseits mit der Frage auseinandergesetzt, ob es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, dass Wölfe in einigen europäischen Ländern vom strengen Schutzregime der FFH-RL ausgenommen sind, in Österreich aber nicht. Die Antwort lautet nein. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Österreich bei seinem Beitritt zur Europäischen Union – im Gegensatz zu anderen Staaten – keine Vorbehalte gegen den hohen Schutzstatus des Wolfes angemeldet hat.
Eine weitere Frage, die der EuGH zu entscheiden hatte, war, ob Art 16 Abs 1 der FFH-RL dahingehend auszulegen ist, dass die Beibehaltung eines günstigen Erhaltungszustandes nur im Hinblick auf das lokale und nationale Gebiet des betreffenden Mitgliedstaates oder auf die gesamte biogeografische Region, die über die nationalen Grenzen hinausgeht, zu beurteilen ist. Hierzu hat der EuGH ausgeführt, dass die Ebene der biogeografischen Region erst dann zu berücksichtigen ist, wenn vorab festgestellt worden ist, dass eine Population bereits auf der Ebene des lokalen Gebiets und des nationalen Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats in einem günstigen Erhaltungszustand verweilt. Mit anderen Worten: Ist bei dieser Betrachtung der nationale Erhaltungszustand schlecht, darf auch nur der nationale Erhaltungszustand beurteilt werden. Erst wenn dieser nationale Erhaltungszustand gut ist, ist der überregionale Erhaltungszustand im Hinblick auf andere Mitgliedstaaten zu beurteilen.
In Bezug auf den in Art 16 Abs 1 lit c FFH-RL festgelegten Ausnahmegrund der „Verhütung erheblicher Schäden“ hat der EuGH festgehalten, dass lediglich der unmittelbare Schaden bewertet werden darf. Folglich werden indirekte Schäden, wie beispielsweise Betriebsauflassungen sowie die daraus resultierende Reduktion des Gesamt-Nutztierbestandes, welche insbesondere für die Almwirtschaft von Relevanz sind, keiner Bewertung unterzogen.
Um die mit der FFH-RL verfolgten Ziele zu erreichen, müssen nach dem Urteil des EuGH zudem die wirtschaftlichen Kosten einer anderweitigen Maßnahme als der Entnahme eines Exemplars einer streng geschützten Tierart gegen die ökologischen Kosten dieser Entnahme abgewogen werden. Daher sind die zuständigen Behörden verpflichtet, die bestmöglichen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse heranzuziehen, um die Entscheidung der Entnahme des Wolfes zu treffen. Dabei sind anderwärtige zufriedenstellende Lösungen, wie zB Almschutzmaßnahmen, zu bewerten und abzuwiegen.
Vereinfacht dargestellt bedeutet das, dass das jeweilige Bundesland die Kosten für Almschutzmaßnahmen (wie beispielsweise Zäune oder Hirtenhunde) zwar mitberücksichtigen darf; eine Entnahme des Wolfes kann allerdings nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn die Kosten für die Almschutzmaßnahmen ein deutlich höheres Gewicht aufweisen als der Nachteil, der mit der Entnahme eines Wolfes einhergeht.
Fazit und Ausblick
Die dargelegten Umstände lassen den Schluss zu, dass die Entnahme von „Schadwölfen“ in Zukunft mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein wird als bislang.
Dass das Urteil als Verschärfung der bisher vorhandenen Judikatur angesehen werden kann, ergibt sich insbesondere daraus, dass der EuGH festgehalten hat, dass eine überregionale Bewertung des Erhaltungszustandes nur dann zulässig ist, wenn der nationale Erhaltungszustand als günstig eingestuft wird. Da bereits jetzt viele Arten in einem ungünstigen Erhaltungszustand verweilen, führt diese Rechtsprechung zu einer Erschwernis der Ausnahmen von den Artenschutzbestimmungen. Wenn nämlich der Erhaltungszustand einer Population in einer bestimmten Region als ungünstig bewertet wird, während er in einer anderen biogeografischen Region als günstig eingestuft wird, können auch vermeintlich „neutrale Eingriffe“ für die lokale Population nachteilig und somit unzulässig sein. Vice versa ist auch zu prüfen, ob im Falle eines günstigen Erhaltungszustandes der Wolfspopulation auf lokaler Ebene dieser Zustand auch auf grenzüberschreitender Ebene gegeben ist.
Mit anderen Worten kann ein Abschuss in einem Mitgliedsstaat, in dem ein günstiger Erhaltungszustand für eine Art festgestellt wurde, dann unzulässig sein, sofern dadurch negative Auswirkungen auf die Population im Nachbarstaat zu erwarten sind. Folglich darf die Ausnahmeregelung in keinem Fall die Wahrung des günstigen Erhaltungszustandes beeinträchtigen.
Im Ergebnis hat das Urteil des EuGH die Möglichkeit des aktiven Bestandsmanagements inklusive selektiver Entnahme einzelner Wölfe deutlich eingeschränkt, da die bereits vorhandenen restriktiven Voraussetzungen verschärft wurden. In Konsequenz dessen ist zu erwarten, dass die im Urteil festgehaltenen Anforderungen von den jeweiligen Bundesländern berücksichtigt werden (müssen). Ob die derzeit in den Bundesländern geltenden Abschussermächtigungen dem „faktischen Abschussverbot“ des EuGH entsprechen und somit unionsrechtskonform sind, ist fraglich. Obgleich sich die neuen Anforderungen aus dem Urteil und deren Vereinbarkeit mit der österreichischen Rechtslage erst mit der Zeit manifestieren werden, lässt sich bereits jetzt prognostizieren, dass dieser Fall nicht der letzte sein wird, mit dem sich ein österreichisches Verwaltungsgericht, die Europäische Kommission im Zuge eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens und in weiterer Folge auch der EuGH befassen wird.
AutorIn
Christina Klapf
Rechtsanwältin
Lukas Reichmann
Associate