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Risiko Vertragsverletzung - Aktuelle Judikatur zur Compliance im Vergaberecht

11.09.2020 - Lesezeit: 5 Minuten

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Das Bundesvergabegesetz 2018 („BVergG 2018“) ist seit rund zwei Jahren in Kraft und hat unter anderem auch neue Gründe für den Ausschluss von Bietern gebracht.

Aktuelle Judikatur zeigt, dass Bieter Auftragsverhältnisse mit öffentlichen Auftraggebern genau evaluieren müssen, wenn sich eine Schieflage im Vertragsverhältnis abzeichnet. Kommt es zu einer Verletzung eines solchen Auftrags und setzt der öffentliche Auftraggeber Sanktionen, kann das den Ausschluss aus anderen Vergabeverfahren – auch bei anderen öffentlichen Auftraggebern – begründen.

Der EuGH verpflichtet Bieter zu weitreichender Transparenz und Mitteilung von solchen Vertragsverletzungen auch in Vergabeverfahren anderer öffentlicher Auftraggeber.

Für den öffentlichen Auftraggeber begründet dies – neben der Pflicht zur Einrichtung eines entsprechenden Vertragsmanagementsystems – neue, mitunter schwierige Prüfungs- und Beurteilungspflichten. Für Bieter bleibt nur die umgehende „Selbstreinigung“, um einen Ausschluss von künftigen Vergabeverfahren zu verhindern. 

Schlechterfüllung von früheren Aufträgen als zwingender Ausschlussgrund

Der neue Ausschlussgrund gemäß § 78 Abs 1 Z 9 BVergG 2018 schreibt vor, dass Bieter zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen sind, wenn der Bieter bei der Erfüllung von früheren Aufträgen erhebliche oder dauerhafte Mängel erkennen hat lassen, die zu einer Sanktion (vorzeitige Beendigung, Schadenersatz oder vergleichbare Sanktionen, wie Ersatzvornahmen, Rechnungskürzungen etc.) geführt haben.

In einer aktuellen Entscheidung hat sich die österreichische Judikatur (soweit ersichtlich) erstmals mit dem Ausschluss eines Bieters aufgrund der mangelhaften Leistungserbringung bei einem früheren Auftrag beschäftigt. Bemerkenswert dabei ist, dass es sich nicht um einen früheren Auftrag des ausschreibenden Auftraggebers handelt, der für den Ausschluss maßgeblich war. Im Nachprüfungsantrag wurde der ausschreibende Auftraggeber auf Vertragsverletzungen des ausgeschlossenen Bieters bei der Erfüllung eines Vertrages mit einem anderen öffentlichen Auftraggeber aufmerksam gemacht.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat in seinem Erkenntnis vom 9.3.2020 (LVwG 443.8-2976/2019-43) festgehalten, dass der ausschreibende Auftraggeber ab Kenntnis von den Vorwürfen der Schlechterfüllung des Auftrags bei einem anderen öffentlichen Auftraggeber zur entsprechenden Prüfung verpflichtet wäre. Voraussetzung sei jedoch die Kenntnis und die Beweisbarkeit der maßgeblichen Vertragsverletzung.

Bieter sind jedoch selbst schon verpflichtet, jedenfalls bei der Abgabe einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung, frühere förmlich festgestellte Vertragsverstöße bei der Teilnahme in Vergabeverfahren offenzulegen (EuGH 3.10.2019, C-267/19, Delta).

Dass das Angebot des Bieters letztlich vom Vergabeverfahren ausgeschieden hätte werden müssen, wird auch damit begründet, dass der Bieter keine ausreichenden „Selbstreinigungsmaßnahmen“ nachweisen konnte.

Die Judikatur bestätigt damit die gesetzlichen Anforderungen sowohl an die Auftraggeberseite hinsichtlich Vertragsmanagement und Eignungsprüfung als auch für die Bieterseite im Hinblick auf den Umgang mit und die Offenlegung von Vertragsverletzungen und die Umsetzung von Abhilfemaßnahmen im Unternehmen fest.

Anforderungen an die Beschaffungsorganisation von Auftraggebern

Die Beschaffungsorganisation von öffentlichen Auftraggebern ist im Hinblick auf das Erfordernis der Prüfung der (Schlecht-)Erfüllung von Aufträgen entsprechend auszugestalten.

Wie im Judikat des Landesverwaltungsgerichts Steiermark bekräftigt wird, begründen auch Vertragsverstöße bei Abwicklung von Verträgen anderer öffentlicher Auftraggeber möglicherweise einen (zwingenden) Ausschluss eines Bieters. Jedenfalls für die eigene Organisation müssen daher die Vertragsabwicklung und allfällige Vertragsverstöße sowie gesetzte Sanktionen aus bisherigen Aufträgen mit den jeweiligen Bietern ausreichend dokumentiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass den zuständigen Mitarbeitern bei der Eignungsprüfung die entsprechenden Informationen zur Verfügung stehen, um einen allenfalls erforderlichen Ausschluss des Bieters beurteilen zu können.

Spätestens sobald dem öffentlichen Auftraggeber mögliche Vertragsverstöße eines Bieters mitgeteilt wurden oder er sonst davon Kenntnis erlangt, trifft diesen die Pflicht entsprechende Nachforschungen anzustellen. Dabei muss der Auftraggeber selbst feststellen, ob ein Bieter (jedenfalls wenn es sich dabei um den möglichen Zuschlagsempfänger handelt) in diesem Auftragsverhältnis wesentliche Verpflichtungen verletzt hat; der öffentliche Auftraggeber muss also die Bedeutung des schlechterfüllten Teils des Auftrags beurteilen und klären, ob der Verstoß eine negative Auswirkung auf das Vertragsverhältnis hatte (vgl EuGH 3.10.2019, C-267/19, Delta).

Im Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark wird außerdem mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien zum Vergaberechtsreformgesetz 2018 festgehalten, dass der Auftraggeber zur Prüfung verpflichtet wäre, ob die Klärung der Rechtmäßigkeit einer gesetzten Sanktion gerichtlich anhängig ist, da sonst der Ausschlusstatbestand nicht zur Anwendung kommen würde.

Diese Ansicht ist allerdings überholt. In seinem Urteil vom 19. Juni 2019 hat der EuGH (EuGH 19.6.2019, C 41/18, Meca) bekräftigt, dass auch eine Gerichtsanhängigkeit einem Ausschluss nicht entgegensteht, da der öffentliche Auftraggeber bei der Prüfung und Entscheidung über die Zuverlässigkeit eines Bieters von der Rechtsansicht eines Dritten nicht abhängig sein darf.

Öffentliche Auftraggeber müssen also bei Kenntnis von Vertragsverletzungen beurteilen, ob diese einen Ausschluss des Bieters nach sich ziehen (müssen) oder nicht. Es ist insbesondere vom jeweiligen Auftrag abhängig, ob ein Mangel als „erheblich“ oder „dauerhaft“ zu qualifizieren ist, wobei für die Erfüllung des Ausschluss Grunds maßgeblich ist, ob der Mangel eine entsprechende Sanktion nach sich gezogen hat. Daneben sind außerdem die Fristen des § 83 Abs 5 BVergG 2018 zu beachten, die die Höchstdauer von bis zu fünf Jahren für eine Berücksichtigung des Ausschlussgrunds durch einen öffentlichen Auftraggeber festlegen (Dauer einer „Auftragssperre“).

Bieterseitige Maßnahmen zur Vermeidung des Ausschlusses

Auch für die Bieterseite begründet der Ausschlussgrund der Schlechterfüllung von Aufträgen neue Herausforderungen an das Beschaffungs- und Vertragsmanagement.

Stellt der öffentliche Auftraggeber einen maßgeblichen Vertragsverstoß fest, hat dieser in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der Bieter ausreichende Maßnahmen der „Selbstreinigung“ gesetzt hat, um einen Ausschluss zu verhindern.

Dabei hat der Bieter nachzuweisen, dass er technische, personelle, organisatorische oder sonstige Maßnahmen gesetzt hat, um neuerliche Verfehlungen zu verhindern. Neben einer aktiven Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden und einer Schadenswiedergutmachung bzw der Ausgleichsleistung hat der Bieter auch effektive Maßnahmen zu setzen, wie beispielsweise ein Bericht- und Kontrollsystem oder Revisionsorgane einzurichten.

Wie auch die aktuelle Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Steiermark klarstellt, reichen bloß oberflächliche Maßnahmen oder Erklärungen des Bieters in der Regel nicht aus, um bei der „Selbstreinigung“ erfolgreich zu sein. Abhängig von der jeweiligen Organisation sind fallweise auch recht umfangreiche Kontroll- und Organisationsmaßnahmen zu setzen, wie beispielsweise die „Entfernung“ der das Fehlverhalten setzenden Personen aus dem Unternehmen und die Setzung geeigneter Personalreorganisationsmaßnahmen und die Einführung entsprechender Kontroll- bzw Auditsysteme.

Der öffentliche Auftraggeber ist demgegenüber verpflichtet, die oftmals nicht ganz einfache Abwägung zwischen der Schwere des Vergehens, der Auswirkungen des Ausschlusses und der Eignung der getroffenen Maßnahmen vorzunehmen.

Zusammenfassung und Fazit

Öffentliche Auftraggeber sind gemäß § 78 Abs 1 Z 9 BVergG 2018 verpflichtet, Bieter von Vergabeverfahren auszuschließen, wenn diese frühere Aufträge schlecht erfüllt haben und dabei Sanktionen, wie Schadenersatz, Vertragsbeendigungen oder vergleichbare Sanktionen (beispielsweise Rechnungskürzungen, Pönalen, Ersatzvornahmen) gesetzt wurden. Es kommt dabei nicht darauf an, dass dabei ein früherer Auftrag des jeweils ausschreibenden Auftraggebers schlecht erfüllt wird. 

Entsprechende Kenntnis vorausgesetzt, können auch Vertragsverstöße bei Aufträgen anderer öffentlicher Auftraggeber für die Anwendbarkeit dieses Ausschlusstatbestands maßgeblich sein. In einem aktuellen Judikat hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark entsprechendes Vorbringen in einem Nachprüfungsantrag gegen die Zuschlagsentscheidung als ausreichend für eine solche Kenntnisnahme durch den ausschreibenden öffentlichen Auftraggeber angesehen.

Entsprechende Hinweise eines Bieters im Rahmen eines Vergabeverfahrens, lösen also die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Prüfung des Ausschlussgrunds aus. Vollkommen unsubstantiierten oder pauschalen Vorwürfen wird ein öffentlicher Auftraggeber aber weiterhin nicht nachgehen müssen, insbesondere da eine entsprechende Überprüfungspflicht auch nicht überspannt werden darf. Bieter sind gemäß aktueller EuGH-Judikatur aber ohnehin zur entsprechenden Transparenz angehalten und verpflichtet, solche festgestellten Verstöße in künftigen Vergabeverfahren offenzulegen.

Liegen dem öffentlichen Auftraggeber belastbare Informationen über eine frühere Verfehlung bei der Auftragserfüllung sowie gesetzte Sanktionen vor, so muss er im nächsten Schritt prüfen, ob damit ein Ausschluss des Bieters erforderlich wird. Dazu muss der öffentliche Auftraggeber selbst das Verhalten des Bieters und die Umstände dahingehend bewerten, ob aus seiner Sicht der Vertragsverstoß einen erheblichen oder dauerhaften Mangel bei der Erfüllung einer „wesentlichen Anforderung“ des früheren Auftrags bedeutet hat.

Vor dem Ausschluss eines Bieters muss der öffentliche Auftraggeber aber jedenfalls noch prüfen und abwägen, ob der Bieter ausreichende Maßnahmen zur „Selbstreinigung“ getroffen hat. Durch solche Maßnahmen können Bieter den (laufenden) Ausschluss aus Vergabeverfahren aufgrund des verwirklichten Ausschlussgrunds vor Ende der bis zu fünf Jahre dauernden Frist für die „Auftragssperre“ verhindern. Dabei muss der Bieter zumindest nachweisen, dass er aktiv mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet hat, Schadenswiedergutmachung betrieben, und effektive Maßnahmen gesetzt hat, wie beispielsweise die Einführung von Bericht- und Kontrollsystemen oder Revisions- und Personalmaßnahmen.

Die aktuelle Judikatur zum neuen Ausschlusstatbestand der Schlechterfüllung von früheren Aufträgen bestätigt die auf Seiten öffentlicher Auftraggeber wie auch auf Bieterseite zu treffenden Maßnahmen in der Beschaffungsorganisation.

Öffentliche Auftraggeber müssen sicherstellen, dass durch eine genaue Dokumentation der Vertragsabwicklung und Informationsweitergabe an die vergebende Stelle im Zuge der Eignungsprüfung entsprechend reagiert werden kann, wenn sich Vertragsverfehlungen ergeben. Dies gilt auch für den Fall, dass möglicherweise andere öffentliche Auftraggeber entsprechende Nachfragen im Hinblick auf die Abwicklung früherer Aufträge stellen.

Bieter sind hingegen zur Offenlegung maßgeblicher Vertragsverletzungen in Vergabeverfahren verpflichtet. Rechtzeitig und im ausreichenden Umfang entsprechende Selbstreinigungsmaßnahmen zu setzen, ist für die Bieterseite daher essentiell, um keine – möglicherweise jahrelange – Auftragssperre zu riskieren. 
 


 

 

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