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OGH: Quotenschaden durch den Insolvenzverwalter während des Verfahrens nicht einklagbar

07.08.2025

AutorIn

Markus Fellner

Partner

Florian Henöckl

Rechtsanwalt

Manuel M. Schweiger

Associate

Am 26. Juni 2025 nahm der Oberste Gerichtshof („OGH“) in der Entscheidung 17 Ob 2/25f eine viel beachtete Klarstellung im Insolvenzrecht vor. Im Zentrum stand die Frage der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung von Quotenschäden – also der Differenz zwischen hypothetischer und tatsächlicher Gläubigerbefriedigung aufgrund einer verspäteten Insolvenzantragstellung.

 

Sachverhalt und bisherige Rechtslage

Ein Insolvenzverwalter begehrte vom ehemaligen Geschäftsführer einer insolventen GmbH Schadenersatz in Höhe von über EUR 1,1 Mio, gestützt auf eine schuldhaft unterlassene Insolvenzantragstellung. Der geltend gemachte Schaden setzte sich zusammen aus:

(i)      einem Betriebsverlust (EUR 470.731,86 ) – klassischer Gesellschaftsschaden; sowie

(ii)      einem darüber hinausgehenden Quotenschaden der Altgläubiger (EUR 687.842,27 ).

Strittig war, ob der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung des Quotenschadens während des laufenden Insolvenzverfahrens aktivlegitimiert ist.

Der Kläger berief sich unter anderem auf § 25 GmbHG sowie auf die mit dem GIRÄG 2003 eingeführte Bestimmung des § 69 Abs 5 IO, wonach Gläubiger Quotenschäden erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geltend machen dürfen.

 

Die Kernaussage des OGH

Der OGH verneint in dieser Entscheidung – im Sinne der bisherigen Rechtsprechung – nun ausdrücklich die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung von Quotenschäden während des laufenden Insolvenzverfahrens. In klarer Abkehr von der bislang in der Literatur mehrheitlich vertretenen Meinung stellt das Höchstgericht klar, dass dem Insolvenzverwalter die Aktivlegitimation für die Geltendmachung des Quotenschadens während anhängigen Insolvenzverfahrens fehlt.

Daran habe sich durch die die Einführung des § 69 Abs 5 IO mit dem GIRÄG 2003 nichts geändert. Aus dem Wortlaut des § 69 Abs 5 IO ergibt sich – im Gegensatz zur vergleichbaren Regelung des § 92 dInsO – keine gesetzliche Grundlage für eine Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters; auch die Gesetzesmaterialien bieten kei-ne belastbare Grundlage dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 69 Abs 5 IO eine derartige Aktivlegitimation beabsichtigt hätte.

Ein Insolvenzverwalter kann daher ausschließlich jene Schadenersatzansprüche geltend machen, die der Gesellschaft selbst zustehenden, insbesondere:

(i)      den Betriebsverlust gemäß § 25 Abs 2 GmbHG bzw § 84 Abs 2 AktG; sowie

(ii)      sowie die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 25 Abs 3 Z 2 GmbHG bzw § 84 Abs 3 Z 6 AktG.

Diesen sogenannten „Innenansprüchen“ stehen die „Außenansprüche“ der Altgläubiger gegenüber, die nach Ansicht des OGH nicht kollektiv durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können.

Im Rahmen der von ihm geltend zu machenden Schadenersatzansprüche kann der Insolvenzverwalter seinen Informationsvorsprung gegenüber den einzelnen Gläubigern wirkungsvoll einsetzen und so letztlich einen Quotenschaden der Gläubiger verhindern oder zumindest verringern.

 

Keine verdeckte Ermächtigung durch § 69 Abs 5 IO

Besonders bedeutsam ist, dass der OGH den vielfach vertretenen Umkehrschluss aus § 69 Abs 5 IO ausdrücklich zurückweist. Zwar verbietet diese Norm die individuelle Geltendmachung des Quotenschadens während des Insolvenzverfahrens – daraus folge jedoch nicht, dass der Insolvenzverwalter an die Stelle der Gläubiger tritt. Eine solche Aktivlegitimation lasse sich weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch aus den Gesetzesmaterialien ableiten.

 

Folgen für Praxis und Lehre

Die Entscheidung des OGH bringt Rechtsklarheit, hat aber auch praktische Konsequenzen:

(i)      Der Insolvenzverwalter kann (während des Insolvenzverfahrens) keine Ansprüche der Gläubiger (zB Quotenschäden) geltend machen.

(ii)      Der Insolvenzverwalter ist auf die Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft, des Betriebsverlusts und der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife, verwiesen, um allfällige Schäden der Gläubiger zu verhindern oder zumindest zu minimieren.

(iii)     Altgläubiger können erst nach rechtskräftiger Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Quotenschäden individuell verfolgen (§ 69 Abs 5 IO).

(iv)     Die Grenzziehung zwischen Innen- und Außenhaftung wird gestärkt.

 

Kritik und offene Fragen

Die Entscheidung steht im Widerspruch zu großen Teilen der Literatur, die § 69 Abs 5 IO als faktische Überleitung der Geltendmachungskompetenz auf den Insolvenzverwalter interpretierte. Der OGH verweist jedoch auf die klare dogmatische Trennung zwischen Innen- und Außenhaftung, betont die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und lehnt eine Analogie ab.

Die Entscheidung lässt auch erkennen, dass prozesstechnische Zweckmäßigkeit kein Ersatz für gesetzliche Legitimation sein kann.

Die Situation, dass Altgläubiger nach rechtskräftiger Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Prozess mit entsprechendem Prozessrisiko für eine allenfalls mini-male Erhöhung der Quote anstrengen müssen, verbleibt wohl.

 

Fazit

Mit 17 Ob 2/25f schafft der OGH klare dogmatische Verhältnisse und betont den Grundsatz: Nur wer tatsächlich geschädigt ist, kann klagen – und das zur richtigen Zeit. Der Insolvenzverwalter ist nicht die Vertretung der Gläubigerinteressen in Bezug auf Quotenschäden, sondern der Vertreter der Masse – und bleibt es auch.

AutorIn

Markus Fellner

Partner

Florian Henöckl

Rechtsanwalt

Manuel M. Schweiger

Associate