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„Notwege“: Bauplatzschaffung über fremdem Grund?

12.11.2025

AutorIn

Djordje Djukic

Rechtsanwalt

In seinem Beschluss vom 29. September 2025, GZ 4 Ob 207/24f, befasste sich der Oberste Gerichtshof („OGH“) jüngst mit den Voraussetzungen für die Einräumung eines Notwegs über fremden Grund. Die dahingehenden Überlegungen eröffnen Projektentwicklern eine Chance, die für die Einholung einer Baubewilligung notwendigen Verkehrsanbindungen zu schaffen.

 

Erschließung von Bauplätzen

 

Die Schaffung oder Veränderung sowie die Bewilligung eines neuen Bauplatzes setzen voraus, dass dieser geeignet ist. Bei der Beurteilung der Bauplatzeignung legt die Baubehörde ihren Fokus unter anderem auch auf die Frage, ob der Bauplatz erschlossen ist. Nach den Bauordnungen der Länder müssen Bauplätze unmittelbar oder mittelbar über Aufschließungswege an eine vorgesehene öffentliche Verkehrsfläche angrenzen.

 

In der Praxis werden Projektentwickler und Investoren oftmals mit kniffligen Erschließungsfragen konfrontiert. Spannend sind vor allem Fälle von „eingekesselten“ Bauplätzen, die nicht unmittelbar an eine öffentliche Verkehrsfläche angrenzen, sondern durch Verbindungs-streifen wie „Fahnen“ mit öffentlichen Verkehrsflächen verbunden werden müssen. Da derartige Verbindungsstreifen auf Nachbarliegenschaften liegen, sind Projektentwickler – ein gutes Nachbarschaftsverhältnis vorausgesetzt – darum bemüht, vertragliche Wegerechte mit ihren Nachbarn zu vereinbaren. Die zivilrechtliche Verfügungsberechtigung über Zufahrten spielt in Bauplatzbewilligungsverfahren eine Rolle.

 

Nicht selten kommt es aber vor, dass mit den Nachbarn kein Einvernehmen erzielt werden kann, weil diese überschießend hohe Benützungs- bzw Servitutsentgelte für den Abschluss einer Vereinbarung verlangen oder an einer solchen schlichtweg nicht interessiert sind.

 

Welchen Handlungsspielraum haben Grundstückseigentümer in solchen Fällen noch?

 

Erschließung durch Einräumung von Notwegen

 

Gemäß § 1 des Gesetzes vom 7. Juli 1896, betreffend die Einräumung von Notwegen („Notwegegesetz“) kann ein Notweg über fremde Liegenschaften gerichtlich eingeräumt werden. Dies setzt voraus, dass einer Liegenschaft die für eine ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung nötigen Wegeverbindungen mit dem öffentlichen Wegenetz fehlen, weil etwa eine Wegeverbindung gänzlich nicht besteht oder diese unzulänglich ist und eine Enteignung der dafür notwendigen Flächen nicht möglich ist.

 

Das Fehlen der Wegeverbindung darf nicht auf eine „auffallende Sorglosigkeit“ des Grundeigentümers der „notleidenden Liegenschaft“ zurückzuführen sein. Außerdem muss die Abwägung der Interessen des Grundeigentümers der notleidenden Liegenschaft einerseits und des Nachbarn bzw. Grundeigentümers der belasteten Liegenschaft andererseits zugunsten der Einräumung des Notwegs ausfallen. Die fremde Nachbarliegenschaft soll möglichst wenig belastet und deren Eigentümer möglichst wenig belästigt werden.

 

Berechtigen Notwege zur Entfernung von Stützmauern und Stiegen?

 

In der Rechtssache zu GZ 4 Ob 207/24f sprach der OGH jüngst unter anderem aus, dass für eine ordentliche Benützung der dort notleidenden Liegenschaft, deren Eigentümer Bewohner eines Gartensiedlungsgebietes sind, eine Zufahrtsmöglichkeit für PKWs und LKWs (um etwa Lebensmittel, Haushaltsgegenstände, Brennstoffe und Baumaterialien zu befördern) sowie eine Zufahrt für die Feuerwehr etc. notwendig sind. Das Notwegerecht verschafft einen grundsätzlichen Anspruch auf eine Zufahrtsmöglichkeit mit PKW und LKW sowie Fahrzeugen der öffentlichen Daseinsvorsorge – so der OGH.

 

§ 4 Abs 3 Notwegegesetz regelt, dass die Einräumung eines Notwegs durch Gebäude, geschlossene Hofräume und bei Wohnhäusern befindliche, zur Verhinderung des Zutrittes fremder Personen eingefriedete Gärten, ferner über solche Grundstücke, welche aus öffentlichen Rücksichten die Benützung als Notweg nicht gestatten, ausgeschlossen ist.

 

Der OGH sah in der Einräumung des Notwegs keine Beeinträchtigung der Antragsgegner in ihrer Privatsphäre bzw. Benützung des Nachbarhauses, weil ein bereits bestehender Fußweg „bloß zum Fahrweg ausgebaut und die Begrenzung ca. 2 m nach hinten verschoben“ werden sollte und das Nachbarhaus davon in 32 m Entfernung lag. Der OGH sah in der Entfernung einer „üblichen Stützmauer samt Stiege und Zaun (die zurückversetzt oder durch andere Maßnahmen ersetzt werden sollten)“ keinen „enormen Eingriff“ in die Nachbarliegenschaft.

 

Im Zuge der Interessensabwägung hob der OGH auch hervor, dass erst die Schaffung einer Anbindung ans Straßennetz – durch Einräumung des Notwegs – den Grundeigentümern der notleidenden Liegenschaft ermöglichen würde, ihre als Bauland gewidmete Liegenschaft auch als solche zu verwenden. Ansonsten könnten sie diese nur als Garten nutzen. Ohne die Einräumung des Notwegs könnte die notleidende Liegenschaft mit einem durchschnittlich breiten PKW nicht vernünftig erreicht werden. Darüber hinaus würde die Schaffung des Notwegs auch die Bebaubarkeit des belasteten Nachbargrundstückes ermöglichen.

 

Der OGH hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, weil die konkrete Ausgestaltung des Notwegs die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert und die Rechtssache davor nicht abschließend beurteilt werden kann.

 

Fazit

Für Projektentwickler, die eine erforderliche Benützung von Flächen des Nachbargrundstücks nicht vertraglich absichern können, eröffnet die Einräumung von Notwegen die Möglichkeit, die Erschließungsvoraussetzungen für eine Bauplatzschaffung zu bewirken. Ob sämtliche dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind und das Interesse an der Einräumung des Notwegerechts jenen der Belastung der Nachbarliegenschaft überwiegt, obliegt allerdings der Einzelfallbeurteilung der Gerichte. Im Zuge einer geplanten Bauplatzschaffung sollten diese Voraussetzungen jedenfalls gründlich geprüft werden, um allfällige Verzögerungen des Baubewilligungsverfahrens und der Projektrealisierung zu vermeiden.

AutorIn

Djordje Djukic

Rechtsanwalt