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Neues Gewährleistungsrecht – Ein Überblick

09.09.2021 - Lesezeit: 5 Minuten

AutorIn

Stefan Adametz

Partner

Im Sommer 2021 hat der Nationalrat mit dem Gewährleistungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz (GRUG) umfassende Reformen des Gewährleistungsrechts beschlossen. Die neuen Gewährleistungsbestimmungen gelten für sämtliche Verträge, die ab dem 01.01.2022 geschlossenen werden. 

Die Reformen erfolgen in Umsetzung der EU-Richtlinien Warenkauf 2019/771 sowie Digitale Inhalte 2019/770 und dienen der Stärkung des Verbraucherschutzes und sollen zudem die Gewährleistung auf die Bereitstellung digitaler Inhalte ausweiten. Das neue Gewährleistungsrecht ist in Österreich vor allem im neuen Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) sowie durch einzelne Anpassungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) und des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) umgesetzt.

Anwendbarkeit VGG oder ABGB

Zukünftig ist im Gewährleistungsrecht zwischen der Anwendung des ABGB und des VGG sowie deren unterschiedlichen Gewährleistungsbestimmungen zu unterscheiden. 

Das VGG gilt ausschließlich für den B2C-Bereich, also für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern und umfasst

  1.  Verträge über den Kauf von Waren (= bewegliche körperliche Sachen) einschließlich solcher, die erst herzustellen sind (Werklieferungsverträge), und
  2. Verträge über die Bereitstellung digitaler Leistungen (digitale Inhalte und Dienstleistungen z.B. Virenprogramme). Letztere fallen auch dann unter das VGG, wenn die Gegenleistung nicht in einer Zahlung, sondern in einer sonstigen Gegenleistung, insbesondere der Überlassung personenbezogener Daten, besteht.

Von der Anwendbarkeit des VGG sind Verträge über den Kauf von Tieren sowie Finanz-, Gesundheits- und Glückspieldienstleistungen ausgenommen.

Die Gewährleistungsbestimmungen des ABGB gelten hingegen für alle sonstigen Verträge z.B. Verträge zwischen Unternehmern (“B2B”), Verträge zwischen Privaten („C2C“), Verträge über unbewegliche Sachen (zB. Haus-, Wohnungskauf), Tauschverträge oder Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen.

Neuerungen sowie Unterschiede zwischen VGG und ABGB

Die wichtigsten Unterschiede zwischen ABGB und VGG und damit auch die wichtigsten Neuerungen des Gewährleistungsrechts sind Folgende: 

Neuerungen im B2C Bereich
  1. Verlängerung der bisherigen sechsmonatigen Vermutungsfrist zum Vorliegen eines Mangels auf zwölf Monate im Anwendungsbereich des VGG (also zugunsten von Verbrauchern); innerhalb dieser Frist wird vermutet, dass der Mangel bereits bei Übergabe vorlag, d.h. der Käufer muss nicht beweisen, dass der Mangel im Zeitpunkt der Übergabe vorlag, sondern der Verkäufer muss beweisen, dass dem nicht so war. Im Anwendungsbereich des ABGB bleibt jedoch die Vermutungsfrist von sechs Monaten weiterhin bestehen.
  2. Unternehmer müssen künftig dafür Gewähr leisten, dass die Ware oder die digitale Leistung zusätzlich zu den vertraglich vereinbarten Eigenschaften auch die objektiv erforderlichen Eigenschaften und somit einen „Mindeststandard“ aufweist. Eine Vereinbarung über die Abweichung von den objektiv erforderlichen Eigenschaften ist nur unter strengen Voraussetzungen möglich und bedarf unter anderem eine ausdrückliche, gesonderte Zustimmung des Verbrauchers.
  3. Der Unternehmer kann nunmehr im Anwendungsbereich des VGG die Rückzahlung aufgrund einer Wandlung oder Preisminderung verweigern bis er entweder die Ware zurückerhalten oder ihm der Verbraucher einen Nachweis über die Rücksendung der Ware erbracht hat.
Neuerungen im B2B und B2C Bereich
  1. Es besteht künftig Formfreiheit bei der Geltendmachung der Vertragsauflösung (Wandlung). Diese kann künftig beim Verkäufer geltend gemacht werden; eine gerichtliche Geltendmachung ist hingegen nicht mehr erforderlich.
  2. Nach Ablauf der zwei jährigen Gewährleistungsfrist läuft eine zusätzliche dreimonatige Verjährungsfrist, innerhalb welcher eine Klage aufgrund des Mangels eingebracht werden kann.
  3. Für digitale Leistungen und Waren mit digitalen Elementen (zB Smartphone, Smart-TV, Smartwatch) umfasst die Gewährleistungsfrist den gesamten Bereitstellungszeitraum, mindestens aber zwei Jahre ab Übergabe.
  4. Bei Waren mit digitalen Elementen und bei digitalen Leistungen wird eine Aktualisierungspflicht eingeführt. Der Unternehmer muss daher die zur Aufrechterhaltung der Mängelfreiheit erforderlichen Updates zur Verfügung stellen. Diese Pflicht kann nur unter qualifizierten Voraussetzungen (also nicht in AGB) ausgeschlossen werden. 

Ergebnis

Im Ergebnis führt das reformierte Gewährleistungsrecht zur Ausweitung der Rechte der Verbraucher; dies gilt insbesondere für die Verlängerung der Vermutungsfrist der Mangelhaftigkeit auf zwölf Monate und die Ausweitung der Gewährleistung auf digitale Leistungen. Da das Gewährleistungsrecht in den Anwendungsbereichen des VGG und des ABGB voneinander abweicht, ist hier zwingend eine Unterscheidung vorzunehmen; diese richtet sich insbesondere nach der Verbrauchereigenschaft und dem Vertragstyp. Unternehmer haben daher zukünftig neue Aspekte im Umgang mit Gewährleistungsansprüchen zu berücksichtigen.
 

AutorIn

Stefan Adametz

Partner