Neues aus Aarhus: Der VwGH setzt neue Maßstäbe für Umweltorganisationen
01.07.2025
AutorIn
Josef Peer
Partner
Lukas Reichmann
Associate
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Umweltorganisationen erhalten mehr Rückenwind vom Höchstgericht: Der Verwaltungsgerichtshof („VwGH“) hat mit Erkenntnis vom 22. Mai 2025 (Ra 2023/10/0330) klargestellt, dass anerkannte Umweltorganisationen auch dann Beschwerde gegen naturschutzrechtliche Bewilligungen erheben dürfen, wenn ihnen nach nationalem Recht eigentlich keine Parteistellung zusteht – vorausgesetzt, das Vorhaben betrifft unionsrechtlich geschützte Umweltgüter.
Diese Entscheidung stärkt die Position von Umweltorganisationen im Verfahren deutlich und wird über den Einzelfall hinaus weitreichende Folgen haben – nicht zuletzt auch für Projektwerber und Behörden.
Hintergrund und Ausgangsverfahren
Dem vorliegenden Fall liegt eine im Jahr 2021 erteilte naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung einer Forststraße zugrunde. Die Behörde erteilte die Bewilligung mit der Begründung, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Naturschutzes weitgehend ausgeschlossen sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Umweltorganisation Bescheidbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich („LVwG“) und begehrte die Durchführung einer umfassenden Naturverträglichkeitsprüfung gemäß § 10 NÖ NSchG 2000, da nach Ansicht der Umweltorganisation – entgegen den Ausführungen des im Verfahren beigezogenen Sachverständigen – mit erheblichen Auswirkungen auf Schutzgüter zu rechnen und daher eine Naturverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei.
Das LVwG wies die Beschwerde jedoch ab. Dies allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen fehlender Parteistellung der Umweltorganisation, da das Verfahren auf § 8 NÖ NSchG 2000 (Bewilligungen im Landschaftsschutzgebiet) beruhte und Umweltorganisationen nach nationalem Recht in einem solchen Verfahren kein Beschwerderecht zukommt. Im Zuge der Erhebung einer außerordentlichen Revision setzte sich der VwGH nun mit der Frage auseinander, ob eine Umweltorganisation gegen ein naturschutzrechtliches Vorhaben Beschwerde erheben kann, obwohl es sich bei dem gegenständlichen Verfahren nicht um ein Bewilligungsverfahren handelt, in dem der Umweltorganisation aufgrund der (bloß) innerstaatlichen Rechtslage keine Beschwerdelegitimation zukommt.
Kernaussagen des Erkenntnisses
Die vom LVwG vertretene Auffassung, die Parteistellung der Umweltorganisation allein auf der Grundlage des NÖ NSchG zu beurteilen, ist nach Ansicht des VwGH im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des EuGH zu Art 9 Aarhus-Konvention iVm Art 47 GRC zu eng. Die genannten Bestimmungen verlangen nämlich einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz bei potenziell umweltschädigenden Vorhaben. Nach Ansicht des VwGH hatte die Behörde zwar formell eine Bewilligung nach § 8 NÖ NSchG erteilt, inhaltlich aber auch Aspekte einer Naturverträglichkeitsprüfung nach § 10 NÖ NSchG, der Art 6 Abs 3 der FFH-RL umsetzt, behandelt. Es handelte sich somit um ein Vorhaben mit unionsrechtlich relevanten Umweltauswirkungen, wodurch der Umweltorganisation nach Ansicht des VwGH auch ohne ausdrückliche nationale Ermächtigung eine unionsrechtlich begründete Parteistellung zukommt, um die Einhaltung dieser Vorschriften durch die Behörde überprüfen zu lassen.
Bedeutung über den Einzelfall hinaus
Mit diesem Erkenntnis bestätigt der VwGH einerseits seine bisherige Judikatur im Hinblick auf das EuGH-Urteil „Protect“ (Rs C-664/15), das insofern eine Änderung brachte, als es die Mitgliedstaaten seither verpflichtet, einen effektiven gerichtlichen Schutz der durch das Unionsrecht garantierten Rechte, insbesondere der Bestimmungen des Umweltrechts, zu gewährleisten. Zum anderen hat die Entscheidung des VwGH auch eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Die Rechtsauffassung des VwGH wirkt nämlich insofern über den konkreten Einzelfall hinaus, als die vom VwGH postulierte Bindung an unionsrechtliche Umweltvorschriften dazu führen kann, dass Umweltorganisationen auch in jenen Verfahren Parteistellung oder zumindest eine Beschwerdelegitimation eingeräumt werden muss, in denen das nationale Recht eine solche bisher nicht vorsieht. Nationale Vorschriften – wie etwa das NÖ NSchG in seiner derzeitigen Fassung – stehen somit in einem Spannungsverhältnis zum EU-Recht und sind, soweit sie die Parteistellung von Umweltorganisationen einschränken, möglicherweise nicht unionsrechtskonform. Für die Frage der Parteistellung ist nach Ansicht des VwGH entscheidend, ob unionsrechtliche Umweltvorschriften inhaltlich betroffen sind.
Das Erkenntnis des VwGH wird nicht nur zu einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung in Bezug auf naturschutzrechtliche Bewilligungsverfahren führen, sondern auch rückwirkende Auswirkungen auf bereits abgeschlossene Projekte haben können. Denn Umweltorganisationen können nun auch in jenen Verfahren Parteistellung erlangen, in denen dies bisher nach nationalem Recht ausgeschlossen war. Damit steigt das rechtliche Risiko, dass Projekte im Nachhinein noch erfolgreich angefochten werden können.
Fazit und Ausblick
Die Auswirkungen der Entscheidung reichen weit über den konkreten Fall hinaus:
- Umweltorganisationen können künftig auch in Verfahren Beschwerde führen, bei denen das nationale Recht keine Parteistellung vorsieht – sofern das Projekt unionsrechtlich relevante Umweltauswirkungen haben kann.
- Behörden müssen sich verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, ob unionsrechtliche Schutzgüter berührt sind – auch wenn die nationale Gesetzesgrundlage scheinbar keine Umweltprüfung vorsieht.
- Projektwerber sind gut beraten, auch bei kleineren naturschutzrechtlichen Projekten mögliche Beteiligungsrechte von Umweltorganisationen frühzeitig mitzudenken. Es drohen sonst verzögerte Verfahren oder nachträgliche Anfechtungen, auch bei bereits genehmigten Vorhaben.
Besonders brisant: Das Erkenntnis des VwGH könnte auch rückwirkende Bedeutung haben. Verfahren, die ohne Parteistellung von Umweltorganisationen abgeschlossen wurden, könnten unter bestimmten Umständen erneut aufgerollt werden.
AutorIn
Josef Peer
Partner
Lukas Reichmann
Associate