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Können Großprojekte einfach abgelehnt werden?

02.05.2025

AutorIn

Josef Peer

Partner

Lukas Reichmann

Associate

Immer mehr Infrastrukturprojekte scheitern an politisch initiierten und durch Volksbefragungen bestätigten Widerständen. Doch reicht das Ergebnis einer solchen Befragung, die oft nur eine geringe Beteiligung aufweist, aus, um ein Projekt zu stoppen, oder sollte das Gemeinwohl im Sinne des Allgemeininteresses stärker gewichtet werden? Dies nicht zuletzt deshalb, da den Staat gegenüber der Allgemeinheit im Hinblick auf Umweltbeeinträchtigungen grundrechtliche Schutzpflichten, insbesondere aus Art 8 EMRK, treffen.

Volksbefragungen als Werkzeug der Mitbestimmung

Volksbefragungen sind – neben dem Volksbegehren und der Volksabstimmung – ein wesentliches Instrument der direkten Demokratie. Die Funktionen, die Volksbefragungen im weiteren (politischen) Sinne erfüllen können, sind vielfältig und unterschiedlich. Welche Ziele konkret mit dem Einsatz dieses direktdemokratischen Instrumentes verbunden sind, hängt oftmals von der politischen Motivation ab. Auch wenn Volksbefragungen den Bürger:innen die Möglichkeit geben, ihren Willen bei politischen Entscheidungen zu äußern, ist das Ergebnis jedoch in der Regel nicht rechtlich bindend. Das bedeutet, dass das Ergebnis nicht zwingend in konkrete politische oder gesetzliche Maßnahmen umgesetzt werden muss. In Österreich gab es daher immer wieder Projekte, die trotz Volksbefragungen oder öffentlicher Ablehnung umgesetzt wurden. Trotz dieser Unverbindlichkeit unterliegen auch Volksbefragungen klaren landes- und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Werden diese nicht eingehalten, kann die Volksbefragung nachträglich für ungültig erklärt werden.

(Verfassungs-)rechtliche Vorgaben

Zur Entscheidung über die Anfechtung des Ergebnisses von Volksbefragungen ist der Verfassungsgerichtshof („VfGH“) berufen. Der VfGH judiziert ein strenges Gebot für die Ausgestaltung der Fragestellung. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist es gerade im Zusammenhang mit der direkten Demokratie unerlässlich, dass das den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegte Material klar und eindeutig ist, um Manipulationen zu verhindern und Missverständnisse zu minimieren. Unklare oder irreführende Fragen, die mit der konkreten Problemstellung nicht in Zusammenhang stehen, sieht der VfGH als unzulässig an.

Die strenge Judikaturlinie des VfGH ist auch unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass eine Volksbefragung eine Erforschung des Willens der Bürger:innen ist. Jede Art der Verzerrung oder Manipulation steht diesem Ziel selbstverständlich entgegen. Fragestellungen, die somit darauf abzielen, die Antworten der Bürger:innen in eine bestimmte Richtung zu lenken („Suggestivfragen“), sind daher ebenfalls unzulässig. Ungeachtet dessen ist insbesondere bei Befragungen zur Umsetzung von Großprojekten zu berücksichtigen, dass die Wirkung einer Volksbefragung über der rechtlichen Konformität der Befragung steht. Die erfolgte Äußerung der Meinung der Bürger:innen kann nämlich im Nachhinein nicht mehr beseitigt, sondern lediglich die Befragung selbst für rechtswidrig erklärt werden.

Volksbefragungen und Großprojekte: Fehlende Beteiligung, falsche Prioritäten?

Es ist unbestritten, dass die Bevölkerung ein wichtiger Akteur bei Infrastrukturprojekten ist, die in der Regel für mehrere Jahrzehnte gebaut werden und damit langfristige Auswirkungen auf die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft haben. Angesichts dieser Tragweite ist es kaum überraschend, dass Länder und Gemeinden bestrebt sind, durch Volksbefragungen die Meinung der Bevölkerung zu solchen Projekten einzuholen. Die politische Wirkung einer Volksbefragung wird in der Praxis sogar oft noch verstärkt, da die politischen Entscheidungsträger im Vorfeld einer Befragung erklären, dass das Ergebnis als (politisch) verbindlich angesehen wird. Beispiele hierfür sind die erst kürzlich durchgeführte Volksbefragung in Kärnten, die zu einem Votum für ein Verbot weiterer Windkraftanlagen führte, oder die Volksbefragung in Salzburg zum sogenannten „S-Link“. In naher Zukunft stehen in Tirol zwei weitere Volksbefragungen an, die einerseits das Kraftwerksprojekt Platzertal und andererseits ein geplantes „Großhotel“ auf landwirtschaftlicher Vorsorgefläche betreffen.

Obwohl Volksbefragungen im Vorfeld oft mediale Beachtung finden, ist ein gemeinsames und durchaus problematisches Merkmal von Volksbefragungen, dass die Beteiligung der Bürger:innen dann doch in vielen Fällen eher gering ausfällt. Hinzu kommt, dass – in der Regel – die Meinungsbildung der Abstimmenden im Laufe eines mehrmonatigen Volksabstimmungsverfahrens durch politische Kampagnen und mediale Diskussionen beeinflusst und verändert wird. Die Kombination dieser Dynamik, gepaart mit der oft geringen Beteiligung, wirft die Frage auf, ob Volksbefragungen im Kontext von Infrastrukturprojekten tatsächlich das geeignete Instrument sind, um die „Sinnhaftigkeit“ eines Infrastrukturprojektes beurteilen zu können. Ein Abstimmungsquorum könnte hier Abhilfe schaffen:

Bei einem solchen Quorum ist nicht nur die Mehrheit der Abstimmenden relevant, sondern auch ein vorher definierter Prozentsatz an Stimmenabgaben. Ein solches Quorum würde somit sicherstellen, dass die Ergebnisse die Meinungen und Perspektiven einer breiteren Gruppe widerspiegeln. Politische Entscheidungsträger könnten zudem im Vorfeld klarstellen, dass ein gewisses Quorum erreicht werden muss, damit diese Entscheidung aus politischer Sicht als bindend angesehen werden kann. Dies nicht zuletzt deshalb, weil durch das Einziehen eines prozentualen Abstimmungsquorums auch eine größere Legitimation für die Entscheidung entsteht.

Ein weiteres Spannungsfeld, das bei Volksbefragungen häufig auftritt, ist, dass oft Gegenargumente aus den Bereichen Klimaschutz und Naturschutz ins Spiel gebracht werden. Der Naturschutz verfolgt einen grundlegenden Ansatz, der darauf abzielt, den Status quo zu bewahren und den gegenwärtigen Naturzustand zu konservieren. Angesichts der durchgängigen Veränderung der Umwelt kann diese Herangehensweise jedoch nicht mehr uneingeschränkt gelten. Die Natur unterliegt, nicht zuletzt durch den globalen Klimawandel, einem ständigen Wandel. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklung ist es daher durchaus berechtigt zu hinterfragen, wie sinnvoll es ist, Infrastrukturprojekte beispielsweise mit dem Argument des Naturschutzes abzulehnen, wenn der betreffende Lebensraum ohne diese Projekte in naher Zukunft ohnehin verschwinden könnte und somit gar nicht mehr schützenswert ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf die in letzter Zeit vermehrt auftretenden sogenannten „Klimaklagen“ einzugehen. In Weiterentwicklung seiner Judikatur zu Umweltbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung der Kausalität staatlichen Handelns bzw. Unterlassens im Hinblick auf den Klimawandel und die daraus resultierenden (drohenden) Schäden hat der EGMR erstmals klargestellt, dass Art 8 EMRK dem Einzelnen ein Recht auf wirksamen Schutz durch staatliche Stellen vor den erheblichen negativen Auswirkungen des Klimawandels gewährt. Mit anderen Worten: Die Vertragsstaaten der EMRK – und damit auch Österreich – sind verpflichtet, aktiv Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unproblematisch, wenn Großprojekte aus politischen Gründen abgelehnt werden, deren Umsetzung sich aber positiv auf den Klimaschutz auswirken würde. Ein solches Vorgehen verstößt nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR (streng genommen) gegen bestehende Rechtspflichten aus Art 8 EMRK.

Fazit und Ausblick

Neben den ohnehin schwierigen Rahmenbedingungen für Infrastrukturprojekte aufgrund langer Verfahrensdauern und rechtlicher Risiken tragen politische Entscheidungsträger zunehmend dazu bei, dass Projekte mit mehrjährigen Planungs- und Genehmigungszeiträumen noch unberechenbarer und vor allem unkalkulierbarer werden.

Aus rechtlicher Sicht sollte sprichwörtlich der Stier bei den Hörnern gepackt werden: Direkte Demokratie in Form von Volksbefragungen kann durchaus gestärkt werden, dann aber mit entsprechend definierten Quoren. Nur so kann verhindert werden, dass die laute Minderheit die schweigende Mehrheit überstimmt. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Großprojekte, die nachweislich zum Klimaschutz beitragen könnten, durch Volksbefragungen verhindert werden sollen. Vor dem Hintergrund des Spannungsfeldes zwischen politischer Entscheidungsfreiheit und rechtlicher Verantwortung des Staates und der Rechtsprechung des EGMR wird über kurz oder lang auch der Ruf nach einer Haftung von politischen Entscheidungsträgern lauter werden, die Projekte zunächst mit Nachdruck forcieren und dann anschließend unter Berufung auf den „Volkswillen“ wieder absagen.

Aber auch die Projektentwickler müssen sich auf diese veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einstellen und anerkennen, dass eine politische Planungssicherheit über mehr als eine Legislaturperiode nicht mehr gewährleistet ist. Dies beginnt bei der Gestaltung von Kooperationsverträgen und reicht bis zur Kommunikation und Bürgerbeteiligung bei der Projektrealisierung und -umsetzung.

AutorIn

Josef Peer

Partner

Lukas Reichmann

Associate