Frozen shares, hot questions – Neue Fragen für den EuGH
05.11.2025
AutorIn
Daniela Sojkova
Associate
Der Oberste Gerichtshof (OGH) ersucht in einem Vorabentscheidungsverfahren (6 Ob 69/24a) um Klarstellung zur Auslegung der EU Sanktionsverordnung (EU) Nr. 269/2014. Konkret stellt sich die Frage, wie sich die in dieser Verordnung vorgesehenen restriktiven Maßnahmen gegenüber gelisteten Personen auf deren Rechte als Aktionärinnen auswirken, insbesondere in Bezug auf die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung von Stimmrechten.
Die EU-Sanktionsverordnung enthält neben einem Verbot, gelisteten natürlichen oder juristischen Personen Gelder und wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen (Bereitstellungsverbot des Art 2 Abs 2), auch die Verpflichtung, Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die sich im Besitz oder Eigentum solcher gelisteten Personen befinden, einzufrieren (Einfrierungsgebot des Art 2 Abs 1). Vor diesem Hintergrund ist zu klären, wie der Begriff des „Einfrierens von Geldern“ des Art 1 lit f der EU-Sanktionsverordnung auszulegen ist und inwieweit auch aktienrechtliche Verwaltungs- und Herrschaftsrechte wie etwa Stimmrechte unter das Einfrierungsgebot fallen.
Einfrieren ist dem Wortlaut nach die Verhinderung jeglicher Form der Bewegung (1), des Transfers (2), der Veränderung (3), der Verwendung von (4) sowie des Zugangs zu Geldern (5) oder ihres Einsatzes (6). Die Definition endet nicht mit dieser Aufzählung. Es folgt ein Relativsatz: „wodurch das Volumen, die Höhe, die Belegenheit, das Eigentum, der Besitz, die Eigenschaften oder die Zweckbestimmung der Gelder verändert oder sonstige Veränderungen bewirkt werden, die eine Nutzung der Gelder einschließlich der Vermögensverwaltung ermöglichen.“ Der Wortlaut lässt unklar, ob der betroffene Aktionär von jeglicher Form der aufgezählten Nutzungen von Aktien ausgeschlossen ist oder aber nur in Bezug auf jene Beschlüsse, die auf die Ziele des Relativsatzes gerichtet sind.
Das österreichische Verfahren: Aktionärsausschluss (6 Ob 69/24a)
Die Klägerin ist eine Limited mit Sitz in der Russischen Föderation, die von einer Person gehalten wird, welche auf der europäischen Sanktionsliste steht. Sie ist Aktionärin der beklagten Societas Europea mit Sitz in Österreich. Die Klägerin wurde unter Berufung auf das Einfrierungsgebot der EU-Sanktionsverordnung von der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Stimmrechtsausübung vollständig ausgeschlossen. Der Beschlussgegenstand war die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes, Aufstockung und Wahl des Aufsichtsrates sowie der Erwerb und die Veräußerung eigener Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre.
Als erste Vorlagefrage möchte der OGH geklärt wissen, ob das Stimmrecht eines sanktionierten Aktionärs in der Hauptversammlung – unabhängig vom Beschlussgegenstand – nicht ausgeübt werden darf. Ein wesentliches Argument für einen vollständigen Ausschluss des Stimmrechts sowie der Teilnahme an der Hauptversammlung sieht der OGH im Wortlaut des Art 1 lit f, der „jegliche Form“ der dort genannten Nutzungen erfasst. Der OGH weist jedoch auch darauf hin, dass der Relativsatz in Art 1 lit f dahingehend ausgelegt werden könnte, dass ein sanktionierter Aktionär über Beschlüsse, die keine Veränderungen im Sinne dieses Relativsatzes bewirken, sehr wohl abstimmen darf.
In eventu will der OGH geklärt wissen, ob die genannten Beschlüsse unter den Begriff „Einfrieren von Geldern“ fallen und ob der sanktionierten Aktionärin zumindest ein Teilnahmerecht an der Hauptversammlung zukommt.
Mögliche Lösungsansätze
Es wird überwiegend die Meinung vertreten, dass mit dem Einfrieren der Aktien alle Aktionärsrechte – und somit auch alle Herrschaftsrechte – ruhen. Das Best-Practice-Handbuch des Rates der EU, die Leitlinien und die FAQ der Europäischen Kommission folgen einem weiten Verständnis des Einfrierens und untersagen jede Verwendung von Aktien, durch die die mit ihnen verbundenen Rechte ausgeübt werden könnten.
Wörtliche und teleologische Auslegung
Nach der Rechtsprechung des EuGH sind unionsrechtliche Begriffe autonom und teleologisch auszulegen. Sanktionsverordnungen werden extensiv interpretiert, um ihre volle Wirkung (effet utile) zu entfalten. Ziel ist die vollständige Unterbindung wirtschaftlicher Vorteile gelisteter Personen, wozu auch das Ruhen von Stimmrechten gehört.
Sprachvergleich
Die englische Fassung verdeutlicht, dass jegliche Nutzung untersagt ist:
“Freezing of funds means preventing any move, transfer, alteration, use of, access to, or dealing with funds in any way [...] including portfolio management.”
Damit ist jede Handlung verboten, die eine Nutzung der Gelder – auch durch Ausübung von Aktionärsrechten – ermöglichen würde.
Systematische Auslegung
Ein Verständnis, das nur Vermögensrechte, nicht aber Stimmrechte erfasst, würde dem Art 2 Abs 2 (Bereitstellungsverbot) den eigenständigen Anwendungsbereich entziehen. Es ist daher aus systematischen Gründen unhaltbar.
GASP- und grundrechtskonforme Auslegung
Da die zugrunde liegenden GASP-Beschlüsse keine Definition enthalten, bestehen für den unionsrechtlichen Begriff keine inhaltlichen Grenzen. Auch eine grundrechtskonforme Auslegung (Art 16 und 17 GRC) steht dem Ruhen der Rechte nicht entgegen, da dies das gelindeste Mittel zur Erreichung der Sanktionsziele darstellt.
Entscheidet der EuGH nach Plan?
Sanktionen waren früher die ultima ratio, ein außenpolitisches Ausnahmeinstrument für besondere Krisenlagen. Heute sind sie längst juristischer Alltag: Sie betreffen nicht mehr nur Staaten oder einzelne natürliche Personen, sondern greifen auch tief in Unternehmensstrukturen und Aktionärsrechte ein. Wie der EuGH den Begriff des „Einfrierens“ letztlich klarstellen wird, reicht daher weit über den Einzelfall hinaus und wird zeigen, wie mächtig Europas Sanktionsapparat inzwischen geworden ist und wie eng der Spielraum für juristische Auslegung noch ist.
AutorIn
Daniela Sojkova
Associate