English

Stichwort suchen

Finden Sie Ihre Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

Die vergaberechtsfreie vertragliche Kooperation

29.03.2019 - Lesezeit: 5 Minuten

AutorIn

Bernhard Scherzer

Rechtsanwalt

Gemeindekooperationen sind für den Großteil der österreichischen Gemeinden, insbesondere in den Bereichen Abfallwirtschaft, Abwasserentsorgung, Informationstechnik oder Trinkwasserversorgung, nicht zuletzt aufgrund einer angespannten Haushaltssituation von großer Bedeutung. Eine Studie des Instituts für Föderalismus ergab, dass im Jahr 2016 alleine in Tirol beinahe 1.000 Gemeindekooperationen existierten. Bei der Umsetzung von Gemeindekooperationen sind neben zahllosen rechtlichen Bestimmungen vor allem auch die Vorgaben des Vergaberechts zu berücksichtigen. Im Zentrum der Debatte stand dabei bislang regelmäßig die Frage, unter welchen Voraussetzungen Gemeinden (und andere öffentliche Gebietskörperschaften und öffentliche Auftraggeber) vergaberechtsfrei – und somit ohne allfällige Ausschreibungspflicht – kooperieren dürfen.

Mit dem neu erlassenen Bundesvergabegesetz 2018 (“BVergG 2018“), das die Vergaberichtlinie 2014 („VergabeRL“) umsetzt, konnte der Gesetzgeber diese Rechtsunsicherheit nunmehr beseitigen. Das BVergG 2018 regelt erstmals ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Gemeinden unmittelbar – ohne „Zwischenschaltung“ eines von ihnen kontrollierten Rechtsträgers – auf Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags vergaberechtsfrei kooperieren dürfen. Angesichts dieser neuen Rechtslage wird in der Folge ein kurzer Überblick über die erforderlichen Voraussetzungen gegeben:

Die vertragliche Kooperation von Gemeinden unterliegt demnach gemäß § 10 Abs 3 BVergG 2018 dann nicht dem Vergaberegime, wenn der Vertrag:

  1. […] eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder implementiert, mit der sichergestellt werden soll, dass von den beteiligten öffentlichen Auftraggebern zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden können,
  2. die Implementierung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und
  3. die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20% der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen.“

Jede Gemeinde muss einen echten Beitrag leisten

Dem der Zusammenarbeit zugrundeliegenden „kooperativen Konzepts“ zufolge müssen alle beteiligten Gemeinden einen Beitrag zur Ausführung der betreffenden öffentlichen Dienstleistung erbringen, der über eine allfällig vorgesehene Entgeltzahlung hinausgeht. Die Zusammenarbeit darf also nicht derart ausgestaltet sein, dass eine der beteiligten Gemeinden als reiner Leistungsbeschaffer („Geld gegen Leistung“) auftritt. Auch wenn dabei nicht erforderlich ist, dass alle beteiligten Gemeinden äquivalente Pflichten übernehmen, so haben die Kooperationspartner bei der Strukturierung einer Zusammenarbeit dennoch sicherzustellen, dass alle einen echten Beitrag leisten. Aufgrund des unionsrechtlichen Umgehungsverbots kann nämlich dann nicht von einer zulässigen vergabefreien Kooperation iSd § 10 Abs 3 BVergG 2018 ausgegangen werden, wenn eine Gemeinde fast alle Leistungen erbringt oder einen rein formalen Beitrag leistet.

Gemeindekooperationen zur Erbringung „öffentlicher Dienstleistungen“

Ferner können Gemeinden nur für die Erbringung „öffentlicher Dienstleistungen“, die von den kooperierenden Gemeinden erbracht werden müssen, eine vergabefreie Zusammenarbeit begründen bzw implementieren. Der EuGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Zulässigkeit der vergabefreien vertraglichen Kooperation abwechselnd auf „öffentliche Aufgaben“ oder „Gemeinwohlaufgaben“ beschränkt. Im Lichte dieser Rechtsprechung liegen überzeugende Gründe für die Ansicht vor, dass die vertragliche Zusammenarbeit für die Erbringung von „öffentlichen Dienstleistungen“ als Aufgaben im Allgemeininteresse („Gemeinwohlaufgaben“), die nicht zum überwiegenden Teil im Allgemeinen von Privaten ausgeübt werden, vergaberechtlich zulässig ist. Für die vergaberechtliche Zulässigkeit ist jedoch nicht erforderlich, dass die Aufgaben aller kooperierenden Gemeinden deckungsgleich sind, sondern können sich diese auch ergänzen. Maßgeblich ist also nicht, dass es sich um eine idente („gemeinsame“) Aufgabe handelt, sondern, dass die von den Gemeinden (jeweils) zu erbringenden Aufgaben zur Erfüllung eines gemeinsamen Ziels dienen.

Darüber hinaus muss die Kooperation inklusive etwaiger Finanztransfers zwischen den Gemeinden ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein. Es darf durch die Kooperation folglich auch kein privater Dienstleister einen Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern erhalten. Finanztransfers zwischen den Gemeinden sind in diesem Zusammenhang jedenfalls dann unschädlich, wenn sie sich auf einen reinen Kostenausgleich beschränken.

Eingeschränkte Marktausrichtung

Schließlich ist auf Basis der immanenten Grundsätze des Vergaberechts, insbesondere des fairen und lauteren Wettbewerbs, die zulässige Marktausrichtung der kooperierenden Gemeinden nur sehr eingeschränkt zulässig. Demnach dürfen diese lediglich weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten auf dem offenen Markt erbringen. Der zulässige prozentuelle Anteil kann auf mehrere Arten festgestellt werden: (i) Sofern Angaben für die letzten drei Jahre vor der Vergabe oder des Vertragsabschlusses existieren, so wird als Referenzwert entweder der durchschnittliche Gesamtumsatz aller durch die Gemeinden im Rahmen der Zusammenarbeit erbrachten Leistungen oder ein geeigneter alternativer Wert, der in Relation zu den jeweiligen Tätigkeiten steht, herangezogen. Als geeigneter alternativer Wert können dabei die der betroffenen Gemeinde in den letzten drei Jahren vor der Vergabe oder vor Abschluss der Zusammenarbeit entstandenen Kosten herangezogen werden. (ii) Sofern für die letzten drei Jahre keine Angaben über den Umsatz oder einen geeigneten alternativen Wert vorliegen (wegen des Gründungszeitpunkts oder des Zeitpunkts der Aufnahme der Geschäftstätigkeit), so genügt es, wenn die Ermittlung des Anteils durch Prognose oder seriöse Schätzung glaubhaft gemacht wird.

Fazit

Mit der Beseitigung bestehender Rechtsunsicherheiten und der Schaffung einer klar umrissenen Ausnahmebestimmung (auch) zugunsten vertraglicher interkommunaler Zusammenarbeit räumt das BVergG 2018 den Gemeinden einen erweiterten Gestaltungsspielraum ein. So können Gemeinden nunmehr unmittelbar auf vertraglicher Basis vergaberechtsfrei (i) zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen kooperieren, sofern (ii) jede Gemeinde einen „echten“ Beitrag leistet, (iii) die Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und (iv) weniger als 20  % dieser Tätigkeiten auf dem offenen Markt erbracht werden. Angesichts einer steigenden Komplexität der Aufgabenstellungen und eines dadurch bedingten erhöhten Spezialisierungsgrads ist auch zukünftig eine weiter steigende Bedeutung der Gemeindekooperationen zu erwarten.

AutorIn

Bernhard Scherzer

Rechtsanwalt